Charles Bradley auf dem ZMF: B-Boy der alten Schule

14.7.2016 - Freiburg, ZMF

Am 14. Juli hat Soul-Sänger Charles Bradley Liebe und jede Menge Rosen zum Freiburger Zelt-Musik-Festival mitgebracht. Als Dankeschön spielte „The Screaming Eagle Of Soul“ vor ausverkauftem Zelt.

 

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lange Schlange vor dem Spiegelzelt

Charles Bradley ist schon eine außergewöhnliche Persönlichkeit. In Armut aufgewachsen, erlernte er den Beruf des Kochs, um diesen sein halbes Leben lang auszuüben. Mit 50 Jahren hatte er jedoch genug und entschied sich, sein Hobby – die Soul-Musik – zum Beruf machen zu wollen. 2002 erschien mit „Take It As It Come“ seine erste Single. Weitere neun Jahre dauerte es, bis Bradley mit einer Langspielplatte nachlegte. 2011 veröffentlichte die Geschmacksinstanz Daptone Records mit „No Time For Dreaming“ das Debütalbum eines damals 63-jährigen, der nicht aufhörte, an seinen Traum zu Glauben und in einem Alter mit dem ersten großen Erfolg belohnt wurde, in dem Andere schon wieder ans Aufhören denken. Am 14. Juli 2016 stand Charles Bradley im Rahmen seiner „Changes“-Tour auf der Bühne des Zelt-Musik-Festivals und bewies, dass man auch mit 67 Jahren noch so agil, sexy und relevant sein kann wie ein Mittzwanziger.

 

Der Tanz mit dem Mikrofonständer

 

bradley4Eine lange Schlange bildete sich vor dem Spiegelzelt des ZMF. „Ausverkauft“ verrieten Ausdrucke, die an den verglasten Eingangstüren befestigt waren, und erklärten damit diesen großen Menschenauflauf. Charles Bradley ist auch in den Staaten erfolgreich, doch seine größeren Charterfolge feierte er bisher in Europa. Marc Oswald, Veranstalter des Festivals, ließ es sich nicht nehmen, den sympathischen Sänger anzukündigen und verriet dem Publikum, dass Bradley für ihn wahrer Soul in der Tradition eines James Browns sei. Die Spannung stieg, die Erwartungen wuchsen, die Stimmung war am vielzitierten Siedepunkt. Die sechsköpfige Band spielte sich und das Publikum mit zwei instrumentalen Stücken ein, bevor der Mann des Abends gekleidet in bordeauxroter Lederjacke und mit protzigem Goldring am linken Ringfinger endlich die Bühne des Spiegelzeltes betrat.

 

Mit einem langgezogenen „Hello“ begrüßte er sein Publikum und ließ sich umgehend von der Musik treiben. Wild gestikulierend tanzte er zu seiner eigenen Musik, schleuderte immer wieder den Mikrofonständer von sich weg, um ihn anschließend kurz vor dem Aufprall am Kabel zu sich zurückzuziehen. Beim ersten großen Bläsersolo seines Sets ging er zusammen mit seinem Mikrofon vor dramatisch gespielter Erschöpfung zu Boden. Fließende Übergänge zwischen den Songs sorgten dafür, dass das Tanzvergnügen im Innenraum des Spiegelzeltes nicht zum Erliegen kam. Bradley selbst zeigte sich von der lautstarken und tänzerischen Beteiligung seines Publikums tief berührt. Immer wieder formte er mit seinen Händen ein Herz, kommentierte Beifall mit „I love you too“.

 

Viel hat nicht mehr zum B-Boying gefehlt

 

bradley3Bradley forderte sein Publikum nicht auf, sich zu bewegen, er ging einfach selbst als gutes Beispiel voran. Zu Beginn beschränkte sich Bradley zwar auf „Stehblues“ direkt vor seinem Mikrofonständer, weitete seinen Bewegungsradius jedoch sehr schnell aus. Spagate, Drehungen, Roboterarmbewegungen – viel hat nicht mehr zum B-Boying gefehlt. Der Song „You Think I Don’t Know (But I Know)“ feuerte gar eine junge Besucherin zum eng-an-eng-Tanz mit dem Sänger direkt auf der Bühne an. Viel mehr als ein bubenhaftes Grinsen fiel dem Musiker da auch nicht mehr ein. „Künstler müsste man sein“, schrie ein jugendlicher Zuschauer seinem Freund ins Ohr und meinte womöglich eher: „Dem Bradley gönnen wir das!“ Tat wahrscheinlich jeder der Anwesenden.

 

„You make me shine / Like I never shined before / You put the flame on me”, sang Bradley hochemotional in der Mitte seines Sets, um im Anschluss völlig ausgepowert die Bühne zu verlassen und seiner Band ein weiteres Mal Raum zum alleinigen Scheinen zu geben. Doch „The Screaming Eagle Of Soul“ kehrte mit frisch übergestreiftem Totenkopfshirt und mit Glitzersteinchen besetzter Jacke auf die Bühne zurück. Es wurde Zeit, zu „predigen“: Unabhängig welcher Religion man angehöre, ob man überhaupt gläubig sei, er wolle, dass die Welt für alle Menschen ein besserer Ort wird. Dagegen kann man nichts sagen. Der für ihn schmerzhafteste Song des Abends sollte aber erst noch folgen. Das Black-Sabbath-Cover „Changes“ erinnere ihn an seine verstorbene Mutter, zu der er ein besonders inniges Verhältnis gehabt habe: Der emotionale Höhepunkt des Konzertes.

 

bradley2Das alles war zum Teil schon sehr große Inszenierung, aufgesetzt, gar unglaubwürdig, wirkte das Spektakel jedoch nie. Selbst wenn Charles Bardley den Vorhang vom Tourmanager aufgehalten bekam, schien das keine divenhafte Forderung, sondern für diese Art der Show völlig angemessen zu sein. Mit der noch einmal beschwingten Zugabe „Why Is It So Hard“ machte Bradley nach 90 Minuten Schluss, verteilte vorher aber noch ein Dutzend rote Rosen an sein Freiburger Publikum, in das er sich an diesem Abend so sehr verliebt hatte. Auf die Knie gehend und mit beiden Armen noch ein letztes Mal über dem Kopf ein Herz formend, verabschiedete sich der wohl dankbarste Musiker, den ich live je erleben durfte, von der Bühne.

 

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