Deutschland am Herd! – Kochshows im Fernsehen
Die Kochsendung ist nicht mehr aus der hiesigen Fernsehlandschaft wegzudenken. Egal ob Tim Mälzer am Herd pöbelt, Christian Rach die letzte Vereinskneipe in der Provinz rettet oder sich Deutschlands C-Prominenz gegenseitig zum Promi-Dinner einlädt, kaum ein TV-Sender verzichtet auf ein Format, in dem es um Schürze und Gewürze geht.
Ende der 50er Jahre ging Komponist und Schauspieler Ludwig Schmidseder als einer der ersten mit seiner eigenen Kochshow im Bayerischen Rundfunk auf Sendung. Doch auch die Nachbarn aus der DDR wollten dem Westfernsehen in nichts nachstehen und strahlten ab 1958 im DFF „Der Fernsehkoch empfiehlt“ mit Kurt Drummer aus. Der Unterschied zwischen den beiden Formaten: Drummer war ein tatsächlicher Chefkoch, der von London bis Budapest Preise einheimste, Schmidseder dagegen nur ein Hobbykoch, der seine Leidenschaft in die Welt trug.
Seitdem sind viele Jahrzehnte vergangen, in denen im deutschen Fernsehen viel passiert ist. Trends kamen, Trends gingen. Stars wurden geboren, Stars wurden wieder vergessen. Doch Kochshows überlebten bis heute. Nein, sie wurden bis heute sogar immer populärer. Mittlerweile sind Fernsehköche wahre Berühmtheiten, die umjubelt werden wie so mancher Popstar. Neben der eigenen Fernsehsendung führen sie Restaurants, geben Workshops und veröffentlichen Bücher. Kleine Herdimperien, die tagtäglich wachsen.
Biolek bringt den Deutschen kochen bei
1994 lieferte Alfred Biolek mit „alfredissimo!“ den ersten großen Quoten-Hit des Genres ab. Bis 2006 empfing er Deutschlands Prominenz und kochte in gemütlicher Atmosphäre mit entspannten Gesprächen kleine kulinarische Meisterwerke. Das eine oder andere Schlückchen Wein zu viel gehörte selbstverständlich auch dazu. Einige Jahre später wurde aus dem Typus „sympathischer Fernsehopa“ der kochende Rockstar. Jung, wild und frech. Trotzdem immer noch ein bisschen Schwiegersohn. Jamie Oliver – der laut daskochrezept.de der coolste Koch Europas ist – machte es in England vor und Tim Mälzer mit kecker Klappe, Ralf Zacherl mit Kahlkopfrisur plus Spitzbart und Stefan Marquard mit Ramones-T-Shirts in der Bundesrepublik nach.
Mittlerweile sind es vor allem Shows, die nicht direkt hinter dem Herd stattfinden, aber davon handeln. „Rach, der Restauranttester“, „Die Koch-Profis“, „Athony Bourdain – Eine Frage des Geschmacks“, „Rachs Restaurantschule“ oder „Das perfekte Dinner“, erzählen eher Geschichten als das sie informieren oder gar lehren. Das Ziel ist nicht das fertige Gericht, sondern die Rettung eines heruntergewirtschafteten Restaurants, die kulinarische Entdeckungsreise rund um die Welt, die Ausbildung von Problemkids zu Köchen oder eine gute Wertung für die eigene köstliche Kreation. Sogenannte Koch-Dokumentationen laufen zu den besten Fernsehzeiten und bescherten zum Beispiel Christian Rach und RTL zum Start der sechsten Staffel des Restauranttesters mit 6,91 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 19,9 Prozent Spitzenquoten.
Kochshows sind wie Pornos
Doch wie hoch dürfen die jeweiligen Anteile von Service und Unterhaltung bei einer Kochshow sein? Muss man nach einer Sendung von Ralf Zacherl die gesehenen Rezepte umsetzen? Reicht es, wenn man bei „Lanz kocht“ einfach nur den Gesprächen von Markus Lanz und seinen Gästen lauscht? Kabarettist Jürgen von der Lippe ist sich nicht ganz sicher, ob die Leute durch Kochshows tatsächlich häufiger selbst hinter dem Herd stehen und erklärte der Bild: „Kochshows sind wie Pornos, da stellt sich die Frage auch nicht, ob wir die brauchen.“ Auch Twilight-Star Kirsten Stewart sieht es ähnlich. Kochshows bedeuten für sie Entspannung. Dem World Entertainment News Network gab sie zu Protokoll: „Ich habe Phasen, da laufen permanent Kochsendungen auf meinem Fernseher und dann bin ich es irgendwann leid und muss es ausstellen. Aber ich bin wirklich verrückt danach.”
In der Ratgeber-Community gutefrage.net wurde im Oktober 2007 eine interessante Frage gestellt: „Meint ihr, es bringt etwas, wenn ich öfter mal eine Kochshow einschalte, damit mein Mann endlich auf den Geschmack kommt und in der Küche auch mal was tut?“ Der Tenor der Antworten war eindeutig: „Ganz klares Nein! Meinen Mann nervt es jedes Mal, wenn ich sowas angucke“, antwortete eine Userin und sprach damit dem Großteil der weiblichen Forenmitglieder aus der Seele.
Konspirative Küchenkonzerte
Kochshows treffen definitiv nicht nur auf Gegenliebe. Der Spiegel berichtete im Februar letzten Jahres über acht Hamburger Studenten, die bekennende Kochshow-Hasser sind und gerade deshalb eine Kochshow produziert haben. Erlaubt ist dabei alles und ums Kochen geht es eigentlich nur vordergründig. „Konspirative Küchenkonzerte“ nennt sich die anarchistische Mischung aus Konzert, Interview und Kochen. Empfangbar über ein paar offene Kanäle und das Internet. Punk-Rock in der Küche eben.
Die Berliner Zeitung forderte 2010 zum 60jährigen Geburtstag der ARD „Mehr Mut! Weniger Kochshows!“. Die Fernsehlandschaft wird und muss sich in den nächsten zehn Jahren definitiv verändern. Durch das Internet kann sich schon jetzt jeder sein persönliches Fernsehprogramm zusammenstellen. Und auf hiesigen Streamingseiten oder in den Mediatheken großer Fernsehsender gehören Kochshows nicht zu den Gipfelstürmern. Vielleicht wird sich irgendein Programmchef schon bald die Hände am Herd verbrennen?! Bis dahin wird fleißig weiter gekocht und auf Geruchsfernsehen gehofft.
Der Vergleich mit Kochsendungen und Pornos ist vielleicht provokant, aber nicht abwegig. Beide Medien kitzeln bewusst an den Bedürfnissen der Menschen und entlocken ihnen so ihre Aufmerksamkeit. Am Ende scheint den Betrachtern irgendetwas zu fehlen, da die eigentliche Erfüllung nicht eingetroffen ist. Trotzdem schaffen sie es immer wieder Zuschauer in ihren Bann zu ziehen.
Kochshows dienen demnach heutzutage alleine der Unterhaltung und haben nur noch wenig mit der eigentlichen Ursprung zu tuen. Egal ob selbsternannte “Kochprofis” versuchen schlecht-besuchten Restaurants wieder auf die Beine zu helfen oder sich ein 2 Meter Chefkoch (Anthony Bourdain) auf den Weg macht, um die letzen ursprünglichen Esskulturen einer globalisierten Welt zu entdecken. Sie sind alle Nachfahren einer aussterbenden Fernsehtradition und das Produkt von guten Zuschauerquoten.