Geschichten aus dem Schulsport – Teil 2: Bundesjugendspiele

auf in den Kampf, den nicht alle Schüler gewinnen werden: die Bundesjugendspiele

Dicke Kinder beim Sprinten, Nichtschwimmer im Schwimmerbecken und das Mannschaftswählen aka der Popularitätswettbewerb – Schulsport ist Horror. In der Reihe „Geschichten aus dem Schulsport“ berichten wir über den Wahnsinn aus deutschen Turnhallen.

 

Die Bundesjugendspiele sind eine furchtbare Pflichtveranstaltung an deutschen Schulen. Furchtbar für Schüler, die dort regelmäßig versagen und mit dem Versagerwisch also known as Teilnehmerurkunde nach Hause gehen. 1951 wurde die Veranstaltung in der Bundesrepublik Deutschland eingeführt, seit 2015 steht sie verstärkt in der Kritik. Eine Mutter, deren Kind nach dem Erhalt einer Teilnehmerurkunde heulte, brachte den Stein ins Rollen. Petitionen setzen sich für die Abschaffung ein. Ebenso viele Unterschriften kommen aber auch von Befürwortern zusammen. Hajo Schumacher forderte in seiner Spiegel-Kolumne: „Damit bewegungsunkundige Kinder wenigstens einmal im Jahr von ihrem Smartphone aufblicken und die Allergien vergessen, lautet die Parole: Rettet die Bundesjugendspiele!“

 

Augen zu und durch

 

„Da laufen ja selbst die Mädchen schneller“, zitiert Horst Thoren auf RP Online in einem Artikel zum Thema eine Reaktion auf seine schulischen Sportleistungen. Ein furchtbar dummer Kommentar, der unterstreicht, wie es im Schulsport vielerorts zugeht. Die Bundesjugendspiele setzen dem Ganzen die Krone auf. Sie finden sowohl für die Leichtathletik als auch das Turnen statt. Vereinzelt werden Wettkämpfe im Schwimmen ausgetragen, was jedoch von den räumlichen Möglichkeiten der Schulen abhängig ist. Disziplinen der Leichtathletik sind Weitsprung, Sprinten und Weitwurf. In der Turnvariante müssen sich die Teilnehmer mit Reck, Boden und Barren auseinandersetzen. Alle Disziplinen werden innerhalb des Schuljahres geübt und dort noch einmal gesondert benotet. Der Schlachtruf Augen zu und durch hilft also nur begrenzt.

 

Tage, an denen Bundesjugendspiele stattfanden, waren für mich aufregend. Positiv wie negativ. Unterrichtsausfall findet ein Heranwachsender immer gut. Einige Teilnehmer hätten sich aber sicherlich lieber durch eine Doppelstunde Mathe gequält. Denn die Schmach trifft die körperlich schwächeren Schüler vierfach. In drei Disziplinen dürfen sie erst vor der versammelten Schulgemeinschaft Negativrekorde aufstellen, um anschließend eine „Urkunde“ mit der erreichten Punktzahl in Empfang zu nehmen. So können die Statistiker unter den Mitschülern ohne größeren Aufwand Listen anfertigen, die das Abschneiden jedes Klassenkameraden übersichtlich einordnen. Wenn für die nächste Mannschaftsdisziplin gewählt werden muss, liegt der Auswahlratgeber schon bereit.

 

Peinlicher als die 6 in Biologie

 

An meinen letzten Bundesjugendspielen nahm ich in der achten Klasse teil. Wie ich bereits in der ersten Ausgabe von „Geschichten aus dem Schulsport“ berichtete, war ich in meiner Kindheit kein besonders athletischer Junge. Wampe und Doppelkinnansatz, die ich mir mit engagierten Marmeladenbrot- und Fernsehsession antrainierte, hemmten meine sportlichen Leistungen. In den großen Ferien zwischen der siebten und der achten Klasse begann ich dagegen anzukämpfen und ging regelmäßig joggen. Für das gute Abschneiden bei den Bundesjugendspielen kam mein Ehrgeiz zu spät. Über die Siegerurkunde bei den Leichtathletikdisziplinen kam ich nie hinaus. Beim Turnen schaffte ich nicht einmal das. In der fünften Klasse als einer von zwei Jungen eine Teilnehmerurkunde in Leichtathletik zu bekommen, war mir peinlicher als meine erste 6 in einer Klassenarbeit in Biologie.

 

Dennoch ist Hajo Schumachers Punkt – wenn auch überspitzt dargestellt – nachvollziehbar. Kinder sollten nicht dick und unsportlich sein. Kinder sollten Freude an der Bewegung haben und regelmäßig mit ihren Freunden auf den Bolzplatz oder fangenspielen gehen. Das sollte auch im schulisch organisierten Sport der Fall sein. Völkerball hat mir beispielsweise auch als dicker Junge Spaß bereitet. Werfen, rennen, fangen und Teamwork wendete ich in dem Spiel an, ohne Angst vor einer Note haben zu müssen. Das wird nicht erreicht, wenn Kinder mit Urkunden als Versager gebrandmarkt werden. Das führt eher dazu, dass sich Schüler noch stärker verweigern, krankmachen oder nicht aus sich herausgehen. Und was mich besonders verletzte: Obwohl sich meine sportlichen Leistungen ab der achten Klasse drastisch verbesserten, haftete mir das Stigma des Unsportlichen noch viele Jahre an.

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