Geschichten aus dem Schulsport – Teil 3: Turnen
Dicke Kinder beim Sprinten, Nichtschwimmer im Schwimmerbecken und das Mannschaftswählen aka der Popularitätswettbewerb – Sportunterricht ist Horror. In der Reihe „Geschichten aus dem Schulsport“ berichten wir über den Wahnsinn in deutschen Turnhallen.
Zwischen einem plumpen Purzelbaum und einer eleganten Flugrolle liegen Welten. Trotzdem habe ich meinen Sportlehrern stets den Purzelbaum als Kompromiss angeboten, damit ich keine Leistungsverweigerung eingehen und sie keinen Krankenwagen rufen mussten. Eine Win-Win-Situation für alle. Dachte ich. Stattdessen wurde mein 12-jähriges Ich, das sich lieber durch Marmeladentoastbrote statt körperliche Ertüchtigung definierte, mit Folterinstrumenten gequält, die selbst für den besten Leichtathleten eine Qual sein können: Reck, Barren und Bock. Wenn nicht gerade eine dicke Matte unter den Gerätschaften platziert wurde, entschied sich schon einmal im Schulsport, wer Mumm hat und wer nicht.
Felgaufschwung FTW
Eigentlich ist der kontinuierliche Leistungsfortschritt Ziel des Schulunterrichts. In der fünften Klasse erlernen wir die Kunst des Bruchrechnens, in der achten Klasse kommen Funktionen hinzu. Mit dem Alter steigert sich das Können. Im Sportunterricht wird genauso verfahren. Davon wollte ich aber nichts wissen. Die einzige je von mir erlernte Übung am Reck war ein Felgaufschwung. In der achten Klasse bekam ich hierfür die Schulnote 2. Ein Jahr später zeigte ich das Gleiche und erhielt eine 3. In der zehnten Klasse musste der gute alte Felgaufschwung erneut herhalten und brachte mir eine stolze 4 ein. Das Verlangen mehr zu zeigen, hatte ich nicht. Nicht, weil ich keine Lust, sondern weil ich einen riesigen Respekt vor den Sportgeräten hatte.
Turnen war der absolute Horror. Denn nicht nur die Angst vor Leistungsversagen spielte eine Rolle, auch mein leibliches Wohl sah ich in Gefahr. Am Reck etwas einquetschen, am Barren den Kopf anstoßen, beim Bockspringen hängenbleiben, beim Bodenturnen das Genick lädieren – ich spann mir die wildesten Horrorszenarien im Kopf zusammen. Ottfried Fischer, der offensichtlich nicht die größte Sportskanone ist, sagte nicht ohne Grund: „Sport und Turnen, füllt Gräber und Urnen.“ Ja, ich war eines der ängstlicheren Exemplare meiner Klasse. Die Schulkameraden, die Wrestling auf Weichbodenmatten nachspielten, waren in meinen Augen Verrückte. Die Ängstlichkeit legte sich erst, als ich sportlicher wurde und somit ein besseres Körpergefühl erlangte.
Auf- und Abbau kostet zum Glück Zeit
Die Minuten in der Umkleidekabine bis der Sportlehrer zu uns stieß, waren die schlimmsten überhaupt. Was werden wir heute wohl machen. Naiv wie ich war, hoffte ich auf Völker- oder Brennball. Gerne hätte ich mich der Schmach hingegeben und wäre als Letzter in eines der Teams gewählt worden, wenn ich dafür nicht wie ein Sack ohne Körperspannung an irgendeiner zwei Meter hohen Stange hätte hängen müssen. Turnen bedeutete, mit aller Kraft nicht aufzufallen. Ruhig verhalten, andere Schüler in der Schlange vorlassen, im besten Falle irgendwo verstecken. Dabei hatte ich immer die Uhr im Blick und freute mich darüber, dass zumindest durch Auf- und Abbau der Turngeräte etwas Zeit für den eigentlichen Sport verloren ging.
Traditionelle Turndisziplinen sind anspruchsvoll und für Schüler, die keine Berührungspunkte damit haben, schwer lösbar. Statt Reckstangen, an denen eine bestimmte Leistung abgefragt wird, sollten alternative Bewegungsmöglichkeiten angeboten werden. Parcours-Elemente könnten beispielsweise bewegungsunerfahrene Schüler motivieren. Hier lassen sich unterschiedliche Lernziele definieren und der Spaß steht eher im Vordergrund als eine altmodische Bewertungsstrenge, die Jahrhunderte alt ist. Turnvater Jahn war vorgestern. Neue Formen des Schulsports müssen ausprobiert werden, um Schüler mit den unterschiedlichsten körperlichen Voraussetzungen gleichermaßen begeistern zu können.
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