Infamous: Die Geschichte einer Videospielreihe
Einmal in das „richtige“ Laborexperiment geraten und fortan als Superheld unterwegs sein. Was Spider-Man und die Fantastic Four können, kann Cole MacGrath schon lange. 2009 legte dieser als Protagonist des Superhelden-Videospiels „Infamous“ den Grundstein für eine Spielreihe, die aus dem PlayStation-Kosmos nicht mehr wegzudenken ist.
1997 wurde der Spieleentwickler Sucker Punch Productions von Brian Fleming und einer Gruppe ehemaliger Microsoft-Angestellter in Bellevue, Washington gegründet. Zwei Jahre später erschien mit „Rocket: Robot on Wheels“ ein erstes Spiel für das Nintendo 64. Damals konnte noch niemand ahnen, welche heute so populäre Spielereihe vom Entwickler mit dem roten Stern im Logo noch kommen sollte. „Rocket“ ist laut dem Magazin Nintendo Power zwar das achtzehntbeste Videospiel für die 64-Bit-Konsole, doch so richtige Champagnerlaune sollte erst durch den Abschluss eines Exklusivdeals mit Sony im Jahre 2000 aufkommen. Zwischen 2002 und 2005 erschienen drei Spiele der „Sly Cooper“-Jump’n’Run-Reihe für die PlayStation 2 und gaben der Konsole mit dem diebischen Waschbären ein neues Maskottchen.
2,2 Millionen Spieler entschieden zwischen Gut und Böse
„We knew towards the end of ‘Sly 3’ that we wanted to do something else. Working on cartoon thief game for six years, we got a little tired of sneaking around and wanted variation, change”, erläuterte Game Director Nate Fox 2009 in einem Interview mit engadget die Gründe, weshalb nach dem dritten Teil von “Sly Cooper” Schluss sein sollte mit den kinderfreundlichen Videospielen. Am 26. Mai 2009 – also ganze vier Jahre später – erblickte mit “Infamous” ein Open-World-Game das Licht der PlayStation 3, das erwachsenere Geschichten erzählt, auf einen realistischeren Look setze und den Protagonisten mit elektrischen Blitzen um sich ballern lässt. Cole MacGrath erlangt durch eine gigantische Explosion, die mehrere Bezirke der fiktiven Stadt Empire City zerstört, Superkräfte. Dadurch gerät er in einen Karma-Konflikt, der den Spieler stets dazu zwingt, sich zwischen guten und bösen Handlungen zu entscheiden.
“Our big goal was that we wanted to make you feel like you were becoming a modern-day superhero and in order to make you internalize it and feel like this thing was really happening, that you were an everyday guy who suddenly got these powers”, führte Nate Fox im Gespräch mit engadget weiter aus. Cutscenes, die im visuellen Stile vom Comic „Batman: No Man’s Land“ inspiriert wurden, unterstrichen diesen Ansatz und machten aus „Infamous“ ein legitimes Superheldenspiel in einer dystopischen Welt à la „Dark Angel“. Diese Prämisse lockte die Käufer reihenweise an. Rund 2,2 Millionen Spieler legten sich das Spiel zu. Das ist ein riesiger Erfolg, der später sogar mit einer Essentials-Wiederveröffentlichung geehrt wurde. 4Players schrieben nicht umsonst in ihrer damaligen Kritik: „Es blitzt, zuckt und kracht: Cole MacGrath hat die freie Wahl, ob er seine elektrische Macht für rechtschaffene oder chaotische Zwecke einsetzt – und weil das Ganze immer Konsequenzen vom Gepöbel bis hin zum Jubel hat, macht das Erkunden der riesigen Spielwelt richtig Spaß!“
Mit Teil 2 bereits ein wichtiges PlayStation-Franchise geworden
So viel Zeit wie zwischen “Sly 3” und “Infamous” sollte nicht vergehen, bis Sucker Punch nachlegte. Am 7. Juni 2011 erschien „Infamous 2“ und führte genau das fort, was schon im Vorgänger hervorragend funktionierte. Diesmal spritzte das Entwicklerteam ihrem Protagonisten Cole jedoch die doppelte Dosis Superheldenadrenalin, denn dieser musste in einer grafisch deutlich opulenteren Open World mächtigeren Gegnern gegenübertreten. Game Designer Joe Ishikura erklärte GamesBeat im Rahmen der Veröffentlichung: “With ‘Infamous 2’ versus the original, I think that we more fully embraced this open-world feel — doing things the way you want to do them.” Die Schreiber von GameFocus sahen das ähnlich und hatten nur lobende Worte für den zweiten Teil übrig: “’inFAMOUS 2’ is another strong example of a super-hero game done right, and serves as a great example that sequels can expand on the original formula without being derivative.”
1,18 Millionen verkaufte Einheiten waren zwar deutlich weniger als die etwa 2,2 Millionen des Vorgängers, dafür wurde „Infamous 2“ durch die Bank positiv aufgenommen. Trotz eines verhältnismäßig kleinen Teams von etwa 70 Entwicklern fühlte sich das Spiel nach einem üppigen Blockbuster an, der mit diesem Teil ein wichtiges Franchise auf der PlayStation etablierte. Vier Monate nach dem Release von „Infamous 2“ wurde mit „Festival of Blood“ noch ein Add-On veröffentlicht, das auch ohne das Hauptspiel funktioniert und eine vom lästigen Cole-Sidekick Zeke vorgetragene Vampirgeschichte erzählt. Eine spielerisch repetitive Angelegenheit, die für zwischendurch genau die richtige Dosis Horroratmosphäre bietet, für Fans der Hauptgeschichte jedoch keine neuen Erkenntnisse bietet. Eurogamer attestierte dem Spiel dennoch eine Daseinsberechtigung: “Festival of Blood’s slight but fun, in other words – a decent shaggy dog story for you to plough through on Halloween evening before the doorbell starts ringing and your friends drop round dressed as the seven ages of David Bowie, or whatever your theme is this year.”
Tony Hawk mit Superkräften statt Skateboard
Mit dem dritten Teil wurden einige Veränderungen in das „Infamous“-Universum eingeführt. Mark Cerny – Hauptentwickler der PlayStation 4 – arbeitete während der Spieleentwicklung eng mit Sucker Punch Productions zusammen, um aus der noch nicht erschienenen PS4 technisch das Beste herauszuholen. Möchte man dem überwiegenden Teil von Pressevertretern und Spielern Glauben schenken, lohnte sich diese Kooperation durchaus. „Infamous: Second Son“ wurde am 21. März 2014 in die Regale des Elektronikfachhandels gestellt und überzeugte viele Käufer. Die Grafik fing die farbenfrohen Superkräfte des neueingeführten und unter Serienfans umstrittenen Delsin Rowe atemberaubend ein. Die Spielkulisse Seattle war mit ihren originalgetreuen Schauplätzen ein Augenschmaus. Ein flüssiges Gameplay, mit dem das Fliegen, Gleiten und Rennen durch die Open-World Spaß machte, als würde man wieder die ersten beiden Teile von „Tony Hawk’s Skateboarding“ spielen, rundete das Superheldenerlebnis ab.
Doch bei all der grafischen und technischen Wucht blieben auch kritische Stimmen nicht aus, die „Second Son“ inhaltliche Schwächen rund um die Story und das Karma-System vorwarfen: „It plays great, and it looks even better, but its advancements also beg it to be held to a higher standard, one that its overall story and morality systems struggle to reach“, schrieben beispielsweise IGN. Dem Erfolg des Spiels tat dies keinen Abbruch. Laut Sony Australia verkaufte sich „Second Son“ innerhalb der ersten neun Tage über eine Millionen Mal. Bereits fünf Monate später bekam „Infamous 3“ mit „First Light“ sogar einen DLC spendiert, der sich unabhängig vom Hauptspiel zocken ließ und die Geschehnisse aus der Sicht der Nebenfigur Fetch beleuchtete. Genau das Richtige für Spieler, die nach der kurzen Zehn-Stunden-Kampagne nicht genug hatten, was auch die Kritiker von Push Square feststellten: “inFAMOUS: First Light is never going to set the world alight, but if you’ve been gagging for more of Sucker Punch’s superhero series, then it will fill that hole until a full sequel charges onto store shelves.”
Gameplay > Geschichte
“Infamous” ist eine Videospielreihe, die zwar nicht die ikonischsten Figuren der Videospielgeschichte hervorbrachte, dafür aber mehr als erfolgreich den Fokus auf den Spielspaß legte. Sich durch die Straßenzüge zu schlängeln oder über die Dächer der Stadt zu springen, ist eine Gaudi, die sich kein PlayStation-Besitzer entgehen lassen sollte. Klar, das Moralsystem, das von den Entwicklern immer wieder hervorgehoben wird, ist nicht mehr als das Entscheiden zwischen schwarz und weiß, doch die Frage, ob wir Superkräfte für das Gute oder das Böse einsetzen würden, ist dennoch reizvoll. Sucker Punch Productions schlägt mit ihrer Version von Superhelden einen Weg ein, der nicht gänzlich neu ist, dank des Verzichts auf lächerliche Kostüme und Pseudonyme aber eine angenehm geerdete Herangehensweise an das Thema vertritt.
2012 machte Cole MacGrath zwei Ausflüge in andere Welten und tauchte als spielbare Figur im Crossover-Kampfspiel „Street Fighter X Tekken“ und im „Super Smash Bros.“-Klon „PlayStation All-Stars: Battle Royale“ auf. Kleine Ritterschläge, die unterstreichen, wie wichtig die Serie in nur drei Jahren für den Videospielmarkt wurde. Wohin die Reise für die “Infamous”-Reihe gehen wird, ist hingegen nicht sicher. 2014 äußerte sich Nate Fox gegenüber IGN recht positiv über weitere Fortsetzungen: “What the next game is? Who knows. I certainly think Infamous is a great franchise for more games.” Scott Rohde – PlayStation-Chef für Software-Entwicklungen – gab dem Affen im Dezember 2015 während eines Interviews mit Kinda Funny Games noch mehr Zucker: “We’re never going to retire an IP. We’re always going to be open to making more Infamous games. That’s about the best way I can answer that.“ Na dann macht mal!
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