Interview: form/prim

„form? Der rappt so anstrengend“, hieß es damals immer. Als ich noch Schüler und besagter form mein Nachbar war. Damals. Es ist lange her. 2004. Nach ein paar Tapes, auf denen er sich gegen Rapper aus unserer kleinen Gemeinde 30 Kilometer nordöstlich von Stuttgart gewehrt, auf Xzibit-Beats die eigene Weltanschauung berappt und schwäbische Mundart auf vermeintlich verwirrende Drum-Patterns gepackt hat, veröffentlichte form aka prim aka David seine erste Platte mit Cover und ordentlicher Release Party im Backnanger Juze: „Der Führer vom Abwechslungsreich“ war vor ziemlich genau acht Jahren sein erster großer Schritt.

 

Von da an ging es Schlag auf Schlag. form, der stets kleingeschrieben wird, zog nach dem Abitur aus, um nicht die Welt zu erobern, sondern um sie zu retten. Trotzdem repräsentiert er noch immer das Dorf, in dem er groß geworden ist: Cottenweiler. Kennt keine Sau. Ist ihm aber egal. Er ist nämlich einer, der seit 15 Jahren – trotz Reisen über den halben Erdball – auf das Kebaphaus seiner Heimat pocht. Er connectet nicht von Schorndorf nach Stuttgart, er pennt auf den Sofas von Freunden in Brasilien oder dem Iran. Er muss nicht die Flirtations samplen, er macht einen Beat aus einer Batterie und einer Teetasse. Er rappt nicht mit den derzeit beliebtesten Anglizismen des mzee.com-Forums, er rappt – wenn der denn Bock hat – auf Schwäbisch. Dabei geht er mit solch einem Selbstbewusstsein vor, dass man ihn nur lieben oder hassen kann.

 

Sein Label Duzz Down San schrieb in der Presseinfo über den bekennenden Starcraft-Spieler mit Vorliebe für Gutmenschlichkeit entsprechend treffend: „Der Mann mit Hang zu allem, was sich mit der Sprache und der Musik anstellen lässt, knallt überall hin, wo es ihm beliebt. Und tut Dinge, die noch niemand mit Rap tat. Rap freut sich, denn Rap beschwert sich ja sonst immer über die fehlende Innovation.“ Eben ein Typ, den man nicht schon nach einem Song bewerten kann. Vor allem dann nicht, wenn man sich keine Zeit zum zuhören nimmt. Einen Tag vor Weihnachten stand er hiphopstuttgart.de Rede und Antwort und sprach mit uns über HipHop-Journalismus, die Provinz und seine Musik.

 

form: Ich sehe mich als Rapper, produziere de facto aber mehr. Meine Beat-Ordner sind nach Monaten sortiert und in den letzten sieben Jahren ist kein Monat vergangen, in dem ich nicht einen Beat gemacht habe. Im Alltag bin ich also eher Produzent. Zum Texte schreiben muss man eher in der Stimmung sein. Beats bauen ist hingehen wie mit Legosteinchen spielen. Das geht immer. Aber „Producer am Mic“ ist etwas geiles, mit dem ich mich schon identifizieren kann.

 

So produktiv wie form sind tatsächlich nur wenige Künstler in der hiesigen Szene. EPs, Alben, Instrumental-Projekte, Musik für Theaterstücke, Remix-Werke, Rap, Gesang und Freestyles, die Liste ist lang und hört nicht bei der Musik auf. Auch bei Poetry Slams, in (Online-)Magazinen und neuerdings auch in Büchern kann man von ihm hören und lesen. Klar, dass jemand mit so viel Output auf die eine oder andere Reaktion seitens Konsumenten und vor allem Presse hofft. Die kamen aber leider nicht immer.

 

 

„Traurig für den hochgelobten deutschen HipHop-Journalismus, dass wir gute Rapper haben, ihr aber fast nur scheiße pusht!“ Frustriert dich dein momentaner Status in der Szene?

form: Es frustriert mich nicht mehr so sehr, weil ich mittlerweile von den Leuten, die ich selber cool finde, Props kriege. Ich trete zum Beispiel in Wien auf, Kamp steht im Publikum und er beglückwünscht mich hinterher zur Show. Deshalb brauche ich keine Bestätigung mehr durch irgendwelche HipHop-Journalisten. Ich bekomme die durch Leute, die mir noch wichtiger sind. Es hat sich aber etwas getan in der HipHop-Presse. Es gibt durch die ganzen Blogs noch andere Stimmen und es wird nicht mehr so viel Scheiße gepusht. Aber prinzipiell führt der Kapitalismus, in dem wir Leben auch imHipHop-Journalismus dazu, dass einfach Scheiße gepusht wird, bei der nicht die Qualität, sondern die Vermarktbarkeit zählt.

 

Hätte man form vor Jahren auf dieses Thema angesprochen, hätte er vermutlich anders reagiert. Womöglich hätte er einen aufgeregten Monolog gehalten, der mit vielen beleidigenden wie auch unterhaltsamen Wortneuschöpfungen garniert gewesen wäre. Heute wirkt er geradezu entspannt, wenn man ihn mit diesem Thema konfrontiert. Er orientiert sich an Leuten wie Audio88, die anfangs ebenfalls vom Fachblatt Juice ignoriert und nun – wo sich eine ansehnliche Fanbase um sie schart – thematisiert werden. Er weiß, was er kann. Es frustriert ihn nur, wenn Andere etwas als Innovation feiern, nur weil auf einmal die breitere Öffentlichkeit davon Wind bekommt.

 

form: Tyler, The Creator war ja auch so ein Ding, das plötzlich durch ein Major gepusht wurde. Alle fanden es so geil, dass der seine Videos und Beats selber macht. Ja geil, ich mache meine Videos und Beats auch seit Jahren selber. Und da interessiert es niemand, dass ich ein Video im Iran gedreht habe. Das hört sich jetzt überheblich an, aber ich war früher wohl noch nicht auf dem Bekanntheitsgrad, dass die Leute nachvollziehen konnten, was ich da mache. Vor ein paar Jahren waren auch bei Flying Lotus nur zehn Leute, heute ist der weltweit bekannt. Man muss an Menschen geraten, die begreifen, was man da macht und nicht an welche, die denken, dass das komisch ist, weil es anders ist.

 

form bestreitet nicht, dass er ein Rechthaber ist. Diese Ehrlichkeit lässt ihn gut aussehen. Er hat inhaltliche und künstlerische Intentionen, von denen er möchte, dass sie so viele Hörer wie möglich mitbekommen. Gibt das Weltgeschehen ein Thema her, über das sich der Wahl-Mainzer aufregt, dann tut er dies lautstark. Ob in Songs wie dem Horst-Seehofer-Bashing „Bis zur letzten Patrone“, den er exklusiv über das Wildstyle Magazine veröffentlicht hat oder über Artikel im Ficko Magazin, bei dem er einer der Hauptinitiatoren ist, form arbeitet sich hart an sein Ziel heran. Ein Ziel, das darin besteht, immer mehr Menschen zu erreichen. Anbiedern muss er sich deshalb noch lange nicht. Was ihn stört, spricht er aus.

 

Was ist das schlimmste Rap-Klischee, das es deiner Meinung nach gibt?

form: Ganz schlimm ist diese ganze Stimmen-verstell-Scheiße. Nach dem Motto: Ich bin jetzt ein Rapper, deshalb muss ich so und so klingen. Was ich persönlich am meisten an Rap feiere, ist dieser Realness-Gedanke. Deshalb finde ich es am besten, wenn jeder so rappt wie er auch ist. Wenn jemand ein langweiliges Leben hat, darüber in einem Track berichtet und man es ihm total abnimmt, würde ich den so dermaßen feiern. Mehr als jemanden, der ein langweiliges Leben hat, aber sonst was behauptet. Okay, es dürfte auch unterhaltsam sein, wenn jemand Scheiße erzählt, die gar nicht stimmt. Das ist ja zum Beispiel bei Kollegah so und es ist trotzdem unterhaltsam. Aber nichtsdestotrotz feiere ich eine gewisse Realness und das ist beim Stimme verstellen halt nicht der Fall. Rapper spielen. Hart spielen. Das ist ein ganz schlimmes Rap-Klischee. Das ist wie das weich spielen bei Indy-Typen. Sind voll die Arschlöcher, tun dann aber mit ihren Gitarren als wären sie sonst was. Aber im Endeffekt muss gar nix. Bei Kunst darf nix müssen. Jedoch finde ich es persönlich ganz interessant, wenn es um etwas geht, dass in der Realität fußt.

 

 

Stellt man form eine Frage, kann es passieren, dass er fünf Minuten später über ein ganz anderes Thema spricht. Obwohl er nachdenkt, bevor er antwortet, trägt er sein Herz doch noch irgendwie auf der Zunge. Er redet gerne und viel. Ist form im Raum, nimmt er eine Hauptrolle ein. Er würde dich anschreien und beleidigen, wenn du im Risiko spielen gegen ihn gewinnst. Nicht weil du tatsächlich eine „Arschfotze“ bist, sondern weil ihn das unterhält und emotional entspannt.

 

Wann ist beleidigen besser als argumentieren?

form: Da bin ich ein wenig von der Antilopen-Gang, mit denen ich auf Tour war, inspiriert. Das war sehr erfrischend wie die miteinander umgehen. Die haten krass – auch sich gegenseitig – aber immer mit Liebe. Bei denen ist das nicht so verdruckst wie im Schwäbischen, wo ich aufgewachsen bin. Da können die Leute nur schwer mit Kritik umgehen und sind gleich beleidigt. Da hat man ja sogar Angst Kritik zu äußern. Wenn man prinzipiell Interesse daran hat, dass man miteinander klar kommt, sollte man natürlich nicht zuerst beleidigen, sondern das irgendwie cool formulieren. Ich bin ein argumentativer Mensch. Daher habe ich in Tracks sehr oft Sachen begründet und versucht den Leuten meinen Standpunkt nahe zu bringen. Mittlerweile bin ich aber dabei zu lernen, dass man das bei manchen Sachen überhaupt nicht muss. Mit den größten Vollidioten rumzudiskutieren bringt überhaupt nix. Ich habe mir da mittlerweile eine gewisse Arroganz angeeignet.

 

Er gibt zu, der größte Hektiker überhaupt zu sein. Im Dorf hat er trotzdem gelernt, dass schneller nicht immer besser ist. Wenn man auf dem Land lebt und etwas in der Welt machen möchte, muss man aus dem Dorf rauskommen. Städter müssen das nicht und schließen sich vielleicht gerade deshalb mit einer provinziellen Einstellung in U-Bahnen und Hochhäusern ein. Und überhaupt: Es ist nicht wo du bist, es ist was du machst. form hat auf dem Land immerhin gelernt, wie man ein Feuer macht und Laternen austritt. Kann auch nicht jeder.

 

form: Alle sagen immer den Namen der nächstgrößeren Stadt, obwohl die da gar nicht herkommen. Es ist halt einfach ein Unterschied, ob man aus Stuttgart oder Cottenweiler stammt. Ich habe sowieso dieses Ziel – wenn ich dort mal ein Urgestein bin – dass man form sofort mit Cottenweiler verbindet. Es gibt auf dem Dorf sehr viele Dinge, bei denen die Leute eine coolere geistige Haltung haben. Natürlich gibt es auch viele Sachen, die in der Stadt cooler sind. Diese Aussage, dass die Stadt viel besser als das Land ist, kommt aber von Leuten, die genau die gleichen Bauern sind wie die, von denen sie sich distanzieren möchten.

 

Wieder und wieder diese überstrapazierte Vokabel „Innovation“ in den Mund zu nehmen, funktioniert nicht mehr. form ist sich bewusst, dass es immer jemanden gibt, der dieses oder jenes schon vorher gemacht hat. Trotzdem hat er den Anspruch gewisse Grenzen zu überschreiten. Er selbst bezeichnet es als Musik, die einen eigenen Charakter hat. Neben seinem Buchprojekt „Einfach ist gar nicht so leicht“ und der Instrumental-Kompilation „In bpm Vol. 1 – Beats aus einem Lied“ wird form am 1. April ein weiteres Projekt veröffentlichen, das ihm wohl erneut alle Reaktionen zwischen Jubel und Unverständnis einbringen wird.

 

 

form: Zusammen mit Illoyal bringe ich eine EP heraus, die aus 37 Liedern besteht. Dabei geht jedes Lied zehn Sekunden. Zwölf Lieder von ihm, zwölf Lieder von mir, zwölf Lieder zusammen und ein Feature-Track mit 40 Rappern, der 11 Sekunden geht. Zu jedem Track wird es ein Video geben. Wieder etwas, was noch nie jemand gemacht hat, Motherfuckers! (lacht)

 

Und bevor er sich so richtig in Euphorie redet, stoppt er sich selbst. In diesem Falle steht das Release zwar so gut wie vor der Tür, doch er ist sich bewusst, dass er immer viel zu viel ankündigt, die Pläne dann aber häufig verwirft oder einfach nicht zu Ende bringt. Eines ist jedoch klar: Auf form ist Verlass. Der haut auch in zehn Jahren noch alle zwei Monate ein neues Album raus. Und die meisten davon versteht man erst zwei Jahre später. Ein Künstler, dem ein einzelnes Interview wohl gar nicht gerecht werden kann. Der braucht eher ein Mikrofon, eine Bühne und ein Publikum, das bereit ist, sich auf eine manchmal anstrengende, aber definitiv bereichernde Reise einzulassen.

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