Interview: Thomas Pyrin
Es ist gar nicht so lange her, da wog er noch 20 Kilo zu viel, machte zusammen mit Smoke T als Smoke & The Walker HipHop in seiner reinsten Form, gewann jedes Freestyle-Battle von Kempten bis Flensburg und war unter anderem mit dafür verantwortlich, warum es über Deutschland brannte. Thommy Walker wurde mit 110% Skills und immer einem Schlückchen Bier zu viel im Blut zur lokalen Legende.
Mittlerweile nennt er sich Thomas Pyrin. Macht Rap auf Dubstep-Unterlagen. Und hält bei den Eltern auszuziehen für die beste Diät, die man sich nur vorstellen kann. Doch wieso dieser riesige Bruch mit allem? Neben dem alten Namen und vielen, vielen Kilos ist auch von dem Hype, der da dann doch irgendwie vorhanden war, nichts mehr übriggeblieben.
Thomas: Wir haben das total gegen die Wand gefahren. Es kam dann ja auch noch eine Auftrittsphase, wo wir viel gebucht wurden und jedes Mal standen wir so betrunken auf der Bühne, dass wir eigentlich nicht mehr reden konnten. Plus der Namensänderung und dem Gewichtsverlust. Es kommen teilweise Leute zu mir, die gar nicht raffen, dass Thommy Walker Thomas Pyrin ist. Von daher glaube ich, dass wir wieder bei null angefangen haben.
Sein langjähriger Mikrofonkumpane Smoke T, mit dem er das Duo Smoke & The Walker bildet, macht keinen Hehl daraus, dass er die Namensänderung von Thommy Walker in Thomas Pyrin für einen großen Fehler hielt.
Thomas: Wir sind gute Freunde und das lebt in erster Linie ja nicht von der Musik, sondern eben davon, dass wir gute Freunde sind. Da sagt man sich solche Sachen einfach ehrlich. Smoke T kam ja nicht zu mir und meinte, dass das scheiße, sondern strategisch unklug war. Ein Fehler, mit dem er ja auch irgendwo Recht hat. Aber auch ein Fehler, der für mich von der Priorität her gerechtfertigt war. Ich wollte von diesem Thommy „ich freestyle besoffen auf der Bühne“ Walker wegkommen, weil das einfach nicht mehr Ich war.
Spielt Freestyle für dich überhaupt noch eine Rolle?
Thomas: Zum Spaß schon noch. Wenn du auf der Bühne deinen Text vergisst oder mit ein paar Jungs im Kreis stehst. Aber ich würde mich nicht mehr öffentlich auf Battles wagen.
Bist du noch auf dem Niveau von früher?
Thomas: Das weiß ich nicht. Keine Ahnung. Wenn ich mittlerweile freestyle, dann ist das anders. Es passiert nur noch selten, dass wir uns battlen. Das ist meistens freestylen ohne nach vier Zeilen aufzuhören und einen Punch zu kreieren. Ich würde schon noch sagen, dass ich gut bin, kann das aber nicht mit früher vergleichen.
Thommy Walker liegt nun also auf dem Friedhof. Sein Grab wurde mit einer Baggy, einem Baseball-Cap und einem prallgefüllten Reimbuch voller Punchlines und wie-Vergleiche geschmückt. Oder doch nicht? Erstens stellte sich Thommy Walker nie als wandelndes Rapper-Klischee dar und zweitens ist Thomas Pyrin kein Experimentalmusiker, der überhaupt nichts mit Rap anfangen kann. Die Antwort liegt irgendwo in der vielzitierten Mitte und der 26jährige ist bereit, sie zu geben.
Thomas: Die ganze Idee mit Thomas Pyrin entstand in einer Zeit, in der es mir ziemlich beschissen ging und ich sehr viel nachdachte. Da ich insgesamt sowieso immer ein sehr reflektierter Mensch war, glaube ich, dass diese Thomas-Pyrin-Geschichte eigentliche die Konsequenz meiner persönlichen Entwicklung war. Und auch musikalisch. Eigentlich ist es die Musik, die ich schon immer machen wollte und schon immer in mir drin steckte. Bei Smoke & The Walker konnte man an seinen Techniken feilen und schauen, was man überhaupt kann. Seinen Werkzeugkasten zusammenstellen, mit dem man dann später weiterarbeitet.
Die textlichen Unterschiede zwischen Thommy Walker und Thomas Pyrin sind immens. Die Walker-Sachen klingen nach einem Baukastensystem und der Suche nach dem nächsten geilen Zweizeiler und die Pyrin-Sachen wirken, als wären sie am Stück ausgetüftelt wurden?
Thomas: Eigentlich ist es noch sehr ähnlich. Es ist immer noch sehr zusammengestückelt. Obwohl ich an sich kein ordentlicher Mensch bin, gehe ich da immer sehr pedantisch ran. Ich nummeriere meinen Zeilen durch, habe ein Raster und überlege mir ganz genau wie ich den Aufbau mache. Und dann fange ich an zu streichen und zu schieben, da ich immer noch gewisse Schlagwörter und Leitmotive verwende, die ich an bestimmten Stellen gesetzt haben möchte. Das ist teilweise auch bei Storytellern so. Ich suche mir da gewisse Stationen aus und konstruiere um die herum den Rest der Geschichte. In der Regel ist es aber schon so, dass ich mit Dingen die da sind besser arbeiten kann, als aus dem Nichts etwas runter zuschreiben.
Trotz einschlägiger Erfolge, für die manch ein YouTube-Rapper mit Nationalflagge im Hintergrund den Schmuck seiner Mama verscherbeln würde, ist es im Internet noch recht ruhig um Pyrin und seine Hefemenschen. Die Musik steht im Vordergrund. Was jetzt aber nicht heißen soll, dass sich im Hause Pyrin der kreative Prozess lediglich auf ein volles Blatt Papier und brummende Bassläufe beschränkt. Auch das, was rund um die Musik stattfindet und vielerorts als Image verschrien ist, spielt für den jungen Rapper eine Rolle.
Thomas: Man kann drauf verzichten, aber ich finde Images wichtig. Die Frage ist nur wie man das für sich persönlich definiert. Man sollte nicht in eine fremde Figur schlüpfen und daraus ein Image kreieren, sondern eigene Züge nehmen – und so ist das bei mir – diese auf übertriebene Art darstellen. Der Unterschied ist, ob man aus sich eine Kunstfigur oder eine künstliche Figur macht. Kunstfigur wäre für mich als Künstler schon irgendwo ein Ziel. Ein abstrahiertes Alter-Ego, das einen Teil von mir darstellt.
Reden wir da nur von Dingen, die innerhalb der Musik passieren oder auch von welchen, die außerhalb stattfinden?
Thomas: Eine Melone auf dem Kopf oder ein Hefeweizen in der Hand ist ja auch völlig okay, da es ja den Tatsachen entspricht. Das sind Dinge, die ich auch privat tue und dann irgendwie zu Thomas Pyrin dazugekommen sind, da das persönliche Vorlieben sind.
Auch wenn man häufig das Gefühl bekommt, dass Thomas drei Tracks aufnimmt und vier gute dabei herausspringen, scheint es genügend Menschen zu geben, die sich vielleicht erst noch mit dem liedgewordenen Granatenwürfen des ehemaligen Thommy Walkers anfreunden müssen. Leute, die etwas können wollen, werden Spaß an Pyrins Musik haben. Menschen, die Promiexperte und It-Girl tatsächlich für echte Berufe halten, sind außen vor.
Ab wann macht für dich eine Referenz oder ein Zitat Sinn und wann verkommt es zu stumpfem Name-Dropping?
Thomas: Für mich selbst macht es Sinn, wenn ich es schaffe, durch das Zitat einen gewissen Wortwitz oder eine gewisse Symbolik zu erzeugen, die nicht nur auf das Angespielte anspielt, sondern dem auch etwas Neues hinzufügt.
Glaubst du, dass du das in „Streifen & Schinken“ geschafft hast?
Thomas: Wow, damit hätte ich jetzt gar nicht gerechnet. (lacht) Ich glaube, ich habe das bei „Streifen & Schinken“ teilweise geschafft. Nicht durchweg.
Wie sehr kannst du dich noch rein vom Sound mit einem Song wie „Biermenschen“ identifizieren, der ja doch eher in die Bierzeltrichtung geht?
Thomas: (lacht) Durchaus noch, vor allem weil er ja auch total besoffen eingerappt wurde. Kann ich schon noch gut, denn das ist ja immer noch ein Teil von mir. Wie gesagt, wir sind jetzt Hefemenschen, feiern gerne und benehmen uns manchmal behindert. Ich distanziere mich von gar nichts, was ich gemacht habe. Auf keinen Fall.
Thomas Pyrin lebt momentan noch am Rande Stuttgarts, plant aber schon den studiumsbedingten Umzug in einen Innenstadtbezirk der baden-württembergischen Landeshauptstadt. In seiner Welt funktioniert „How I Met Your Mother“ genauso gut wie Kurt Tucholsky. Aber warum denn auch nicht? Thomas Pyrin nimmt alles mit, was gut ist. Denn wenn man mal genau hinhört, sind auch seine Texte weder kompliziert noch schließen sie eine bestimmte soziale Schicht aus. Thomas Pyrin erzählt lediglich auf blumige Art und Weise vom Versagen, von Ängsten und von den Abenteuern, die die Menschen und das Leben an sich so bereit halten. Wer Filme im Originalton schaut, wird auch an „Psychonautik“, „Tote Pyrins“ und all dem, was da noch kommen mag, seinen Spaß haben.
Glaubst du, du könntest irgendwann mal an deinen eigenen Ansprüchen zerbrechen?
Thomas: Nein, weil ich denke, dass ich mich mit fortschreitendem Alter immer besser einschätzen kann und immer besser weiß, wie ich mit mir umzugehen und zu leben habe. Ich bin ein Mensch, der sich für diese dunklen Abgründe interessiert und auch sehr gerne in seine eigenen eintaucht. Man muss mit der Zeit aber einfach lernen, dass man dort nicht leben sollte.
Belasten dich Fehler, die du in der Vergangenheit gemacht hast?
Thomas: Teilweise ja. Bis ich mir wieder vor Augen halte, dass die nötig waren, um dort hinzukommen, wo ich heute stehe. So wie eigentlich alles, was passiert. Man muss daraus lernen. Das Leben ist wie eine große Sinuskurve, bei der du mal oben und mal unten bist. Und wenn du unten ankommst, musst du den Schwung nutzen, um wieder nach oben zu kommen. Da wird es bei mir nie zu nostalgisch.
Du bist also auch kein melancholischer Mensch, der betrunken traurige Lieder hört und über Vergangenes nachdenkt?
Thomas: (energisch) Oh doch, oh doch. Saufen ist für mich weinen. Ich bin auf jeden Fall ein Melancholiker, aber es gelingt mir immer eine Grenze zu ziehen. Wann ist etwas sinnvoll und wann ist etwas sinnlos. Ja doch, wenn ich sauf, höre ich oft „House Of The Rising Sun“ und schwelge gerne in Melancholie.
Thomas Pyrin ist kein Kostverächter. Auf dem Fußboden stehen leere Whiskeyflaschen der Kategorie „Untere Mittelklasse“. Während des Gespräches dreht er sich eine Sportzigarette. Trotzdem ist er für die „Gib-mir-den-Joint-und-ich-verändere-die-Welt“-Mentalität viel zu intelligent. Thomas vermittelt den Eindruck, dass er ganz genau weiß, was er da tut und inwiefern er sich das erlauben kann.
Darf man arrogant sein, wenn man offensichtlich geistig überlegen ist?
Thomas: (lacht) Ich mag die Frage. Man darf im Endeffekt alles. Und ich weiß, dass ich auf viele Menschen arrogant wirke. Ich würde mich selbst trotzdem nicht als arroganten Menschen bezeichnen. Aber man darf das selbstverständlich. Man darf das auch, wenn man geistig unterlegen ist. Ob man dabei ernst genommen wird oder nicht, ist eine andere Frage. Natürlich finde ich es unfair – ich habe ja immer noch einen Gerechtigkeitssinn – aber ich würde mich nicht hinstellen und sagen, dass man dieses oder jenes darf oder eben nicht darf. Wenn jemand arrogant wirkt, dann ist das halt so.
Und so kann man, wenn man es dazu kommen lässt, tolle Gespräche mit Thomas Pyrin führen. Inhaltlich ist von der Plattensammlung bis zu persönlichen Erlebnissen alles dabei. Bleibt zu hoffen, dass das, was er momentan musikalisch auf die Beine stellt, nicht daran scheitert, dass er sich in keiner wirklichen Szene mehr bewegt.
In Zukunft wird seine Soundvision weiter reifen: Eine selbst zusammengestellte Band namens „The Dead Pyrins“, einen Arbeitsethos, der an lilamögende Diplomaten erinnert und doch noch irgendwie Smoke & The Walker. Da wird einiges gehen. Und auch wenn er in Zukunft eher auf dem Burning-Man-Festival als auf der Rap-Jam im Jugendhaus deines Vertrauens zu sehen sein wird, bleibt er… HipHop.
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