Open-World-Wahn: Bitte weniger Spiel fürs Geld!
Mitnehmen, was man kriegen kann, klingt wie Business as usual in einer Geiz-ist-geil-Gesellschaft. Doch manchmal ist die Konzentration auf das Reduzierte deutlich angenehmer. Besonders bei Videospielen. Mein Appell ist daher klar: Ich fordere weniger Spiel fürs Geld!
Flashback ins Jahr 2002: Der 17-jährige Verfasser dieses Textes kauft sich an einem milden, verregneten Herbsttag mit „Vice City“ den neusten Ableger der „Grand Theft Auto“-Reihe. Angespornt von einer riesigen, frei begehbaren 3D-Welt ist die Kaufentscheidung eine entsprechend leichte und macht die im Baumarkt-Nebenjob hart verdienten Euro schnell locker. Open World war damals das Zauberwort, das die komplette Videospielgemeinde in Atem hielt, denn dieses Spielelement gehörte eben noch nicht zum Standard. 60 Euro für ein Spiel auszugeben und dann tatsächlich unzählige Stunden in einer schier unbegrenzten Welt zu verbringen, war bis dato eigentlich nur in völlig anders ausgerichteten Ausnahmefällen wie „World Of Warcraft“ möglich.
Zeitsprung in den Herbst 2015: Mad Max, The Witcher 3, Batman: Arkham Knight, Fallout 4, Assassin’s Creed Syndicate, Just Cause 3, Metal Gear Solid V: The Phantom Pain… laut howlongtobeat.com zusammen rund 472,5 Stunden Spielzeit, wenn man wirklich jede Kleinigkeit machen möchte („Fallout 4“ und „Just Cause 3“ nicht einmal mitgezählt). Wer soll das denn bitte alles zocken? Als jüngerer Mensch, der Zeitungen austrägt oder sein Taschengeld mit regelmäßigen Besuchen bei der Mutter seiner Mutter aufbessert und zwischen Vokabeln lernen und Fußballtraining alle Zeit der Welt hat, sicherlich kein Thema. Der pickt sich seinen Wunschtitel heraus und spielt auch das letzte Geheimnis auf der riesigen Karte mit den unzähligen Symbolen frei. Für berufstätige Frauen und Männer mit Familie, Haus und Garten jedoch so indiskutabel wie der Verzicht auf eine Krankenversicherung. Die sorglose Jugend, in der man die Nächte durchzocken und seine Zeit ohne schlechtes Gewissen verschwenden konnte, ist eben vorbei.
Bei der Flut dieser Inhaltsbomben ist es eine wahre Genugtuung, wenn Titel wie „Until Dawn“, „The Order 1886“ oder „Transformers Devastation“ erscheinen und durch eine knappe aber verhältnismäßig packende Solo-Kampagne überzeugen. An zwei, drei Abenden durchgezockt und fertig ist ein Spielerlebnis, das man in voller Pracht so genießen konnte, wie es sich der Entwickler vorgestellt hat. Stattdessen schlägt, zaubert und reitet man sich monatelang durch die Hauptgeschichte von „The Witcher 3“ und hat am Ende die ebenso spielenswerten Nebenmissionen noch nicht einmal im Ansatz ausgekostet. Und dann kommt meist noch ein auf mehrere Monate ausgedehnter Season Pass mit zig DLC-Inhalten hinzu. Da füllen sich nicht nur die eh schon zu knappen Festplatten der Konsolen, sondern auch die freien Stunden ihrer Besitzer.
Videospielern geht es wie den Serienjunkies mit Amazon-Prime- und Netflix-Account. Zu viel Stoff für ein einziges Leben. Da helfen nur Doc Hollywood oder gaaaaanz viel Verzicht auf anderen geilen Scheiß. Ich wünschte mir, Entwickler würden ein Open-World-Szenario nicht als zwingend notwendig erachten, sondern es nur verwenden, wenn es für das Spiel sinnvoll ist. Gut designte Schlauch-Levels, die in sich schlüssig sind und zum wiederholten Spielen einladen, sind besser, als eine lieblos gefüllte Welt, die reihenweise repetitive Aufgaben beinhaltet, die sich beim Lösen genauso befriedigend anfühlen wie das Abhaken eines Einkaufszettels. Es bleibt spannend zu sehen, ob sich dieser Content-Wahn, der mittlerweile auch von größeren Fachmagazinen wie GameStar oder M! Games kritisch beäugt wird, in Zukunft wandelt. Ich würde es mir wünschen, denn bei all dem Preis-Leistungs-Verhältnis fühle ich mich inzwischen erschlagen.
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