Review: Eminem – The Marshall Mathers LP 2

Zurück zum Anfang! Eminem droppt den zweiten Teil von “The Marshall Mathers LP“ und alle fühlen sich wieder wie mit 16.

 

Es war lange still um den einstigen Rap-Rüpel, den amerikanischen Alptraum, den unbändigen Vorzeige-White-Trash-Streithammel. In seiner Abwesenheit sind mit der Odd-Future-Bagage, Mac Miller, Machine Gun Kelly und Wiz Khalifa – um nur ein paar Namen zu nennen – ganz neue Szenekoryphäen auf der Bildfläche erschienen, die in Sachen Skills, Polarität und Beliebtheit Slim Shady das Wasser nicht nur reichen, sondern gleich mit dem Feuerwehrschlauch ins Gesicht klatschen können. Das Gute ist, Em ist sich dieser Tatsache bewusst, wie er im Abschlussstück „Evil Twin“ selbst zugibt: „I’m in a strange place, I feel like Ma$e when he gave up the game for his faith“.

 

Der Doktor von der Westküste und der langbarttragende Johnny-Cash-Buddy

 

Erneut unter den Fittichen von Dr. Dre hat sich Eminem diesmal zusätzliche Hilfe von Rick „The Coolest Weirdo In The World“ Rubin geholt. Kann man den Doktor von der Westküste und den langbarttragenden Johnny-Cash-Buddy für den Executive-Producer-Job auf der Habenseite verbuchen, sollte eigentlich nichts schiefgehen. Wer könnte ein HipHop-Blockbuster-Album sicherer eintüten als dieses Trio, für das der passende Superlativ noch erfunden werden muss?! HipHop-Blockbuster-Album heißt aber auch, dass sowohl die verwöhnten Rap-Nerds als auch die MTV-Generation bedient werden müssen. Die MMLP2 ist in all ihrer popgeschuldeten Zugänglichkeit dabei trotzdem noch ansatzweise sperrig geraten. Abgesehen von der Single „Berzerk“ unterschreitet kein Lied die Vier-Minuten-Marke. Sieben Stücke schwanken gar zwischen fünf und acht Minuten. Ein 80-Minuten-Brocken, dessen Tracklist nichtsdestotrotz nach mindestens drei Hördurchgängen verinnerlicht werden kann.

 

„The Marshall Mathers LP 2“ fühlt sich wie das große Serienfinale einer langlebigen HBO-Show an. Handlungsstränge wie der Familienstreit mit Mutter Mathers werden beendet („Headlights“), der eigene Status wird ein letztes Mal unter Beweis gestellt („Rap God“) und die Liebe zu Kim – Mutter seines Kindes – manifestiert („Stronger Than I Was“). Gerade bei letzterem Song kann man sich nicht so richtig entscheiden, ob er einem herrlich ins Ohr geht oder vor lauter Schmalz doch über das Ziel hinausschießt. Insgesamt sollte man sich vor dem ersten Hören sowieso damit abfinden, dass Eminem nicht versucht hat, eingängige Rap-Hooklines wie in den großen „Lose Yourself“-Heydays abzuliefern, sondern lieber in „Recovery“-Manier radiotaugliche Gesangrefrains geschustert hat. Unterstützt wird er dabei auf dem dritten Vorab-Track „The Monster“ ein weiteres Mal von Rihanna, die wahrscheinlich mittlerweile – als Freundin der Familie – Haileys große schminktippsgebende Schwester geworden ist.

 

Rappende Präzession gegen peinliche Hooklines

 

Die Liste der rappenden Gastbeiträge ist überschaubar. Nur der Held der Stunde – Kendrick Lamar – schnappt sich das Mikrofon, was beinahe schon als Statement seitens Eminem verstanden werden kann. Doch der stolze Detroiter braucht auch gar nicht mehr Unterstützung in der Booth. Bei Eminem sitzt jede Silbe, jeder Flow und jeder Reim. Und selbst wenn er mit einem kopfschüttelerzeugendem Intro wie in „So Far…“ eher bei den Buggles-Fans als bei den HipHop-Heads punktet, gibt es auf MMLP2 keine Totalausfälle. Dafür ist Em nach wie vor ein viel zu guter Rapper und kann mit rappender Präzession jede noch so peinliche Hookline kaschieren. Und vielleicht ist eine treibende Deathmatch-Hymne wie „Survival“ nicht unbedingt die erste Wahl, wenn man mit 10 km/h durch die hiesige Einkaufsstraße tuckern möchte, heimlich mit Kopfhörern kann man dazu aber ordentlich cool sein. Zumindest „Berzerk“ lässt in Kombination mit dem herrlich trashigen Musikvideo ansatzweise diese großartige Erste-Single-Formel aufblitzen, die wir seit „My Name Is“ von Eminem kennen und irgendwie auch lieben.

 

Es ist schier krass, mit welchen Erwartungshaltungen Eminem bei einer derartigen Albumtitelwahl wie „The Marshall Mathers LP 2“ zu kämpfen hat. Er wollte es aber nicht anders und muss nun mit den teils enttäuschten Reaktionen seitens Fans und Kritikern leben. „The lesson here, if there’s one to be gleaned from this 80 minutes of cold, clinical lyrical acrobatics, is that rap sequels are a lot like trying on old prom clothes”, schrieben beispielsweise die Kollegen von Pitchfork. Ich gehe ebenfalls relativ kritisch an dieses Album heran, muss am Ende des Tages aber dennoch feststellen: Immer noch rotiert „The Marshall Mathers LP 2“ in meiner Anlage, immer noch summe ich Songs mit, immer noch mache ich mir über die Texte Gedanken. Bei Eminem setze ich aber besonders hohe Maßstäbe an. MMLP2 ist vielleicht nicht der große Stefan-Kretzschmar-Wurf, den ich mir gewünscht habe, doch hier wird auf sehr hohem Niveau gemotzt. Andere Musiker würden für so ein Album immer noch Mutter plus Hausrat verscherbeln.

 

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