Review: Ich und Earl und das Mädchen

+++Achtung, dieser Text enthält den einen oder anderen Spoiler+++

 

Krankheit und Sterben gehören zu den Dingen, die man am liebsten aus seinem Leben verdrängen möchte. Wenn es dann auch noch einen heranwachsenden Menschen trifft, ist das besonders schwer zu verarbeiten und fast noch schwerer, in einem authentischen Film zu verpacken. Jesse Andrews hat für die Verfilmung seines 2013 erschienenen Romans „Ich und Earl und das sterbende Mädchen“ nun auch das Drehbuch geschrieben und zusammen mit Regiesseur Alfonso Gomez-Rejon unter dem verkürzten Titel „Ich und Earl und das Mädchen“ in die Kinos gebracht.

 

Auf den Vergleich mit dem 2014 erschienenen „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ muss sich der Streifen auf jeden Fall einstellen, trotz des ebenso auf einer Romanvorlage basierenden Stoffs und des nahezu identischen Leitthemas liegt das Hauptaugenmerk aber auf ganz unterschiedlichen Motiven. Während bei Hazel und Augustus die Liebesgeschichte im Vordergrund steht, geht es bei „Ich und Earl und das Mädchen“ um das Erwachsenwerden, Mündigkeit und darum, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen.

 

Der 17-jährige Greg, der von Thomas Mann – seines Zeichens durch die Nickelodeon-Serie iCarly bekannt geworden – herrlich verschroben gespielt wird, verbringt einen Großteil seiner Zeit damit, im großen Haifischbecken der Highschool möglichst wenig Schaden zu nehmen. Zu diesem Konzept gehört ein ausgeklügeltes System, das aus möglichst vagen Kontakten zu allen relevanten Schulcliquen besteht. So macht er zwar keinerlei Bekanntschaften von Bedeutung, entbehrt aber auch jeglicher Angriffsfläche. Aus Angst vor Zurückweisung vermeidet er es, jemanden seinen „Freund“ zu nennen. Nur zu seinem „Arbeitskollegen“ Earl hat er so etwas wie eine Freundschaft aufgebaut, denn beide verbindet die Lust an europäischen – von Klaus Kinski und Werner Herzog geprägten – Filmen der 70er und 80er Jahre. Diese Leidenschaft drücken die beiden in kreativen und liebevoll gestalteten Adaptionen ihrer filmischen Vorbilder aus, die sie bereits seit dem Kindergarten zusammen drehen.

 

Im letzten Highschool-Jahr hat Greg sein Überlebenssystem bis fast zur Unsichtbarkeit perfektioniert – bis ihn seine überfürsorgliche Mutter zwingt, die an Leukämie erkrankte Mitschülerin Rachel zu besuchen. Aus einer ersten recht unbeholfenen Begegnung in ihrem kissenübersäten Zimmer entsteht eine Freundschaft, auch wenn Greg noch eine ganze Weile braucht, um die Beziehung zu Rachel so zu nennen. Er lernt langsam, dass er nur dann Verantwortung für einen andere Person übernehmen kann, wenn er in seinem eigenen Leben Position bezieht – auch auf die Gefahr hin, seine sorgfältige Tarnung opfern zu müssen. Er merkt, dass es verdammt schwierig sein kann, für einen todkranken Menschen da zu sein. Gemeinsam mit Earl beschließt er deshalb, Rachel mit dem aufzuheitern, was er am besten kann – einem eigens für sie gedrehten Film. Als Rachel dann aber, stark gezeichnet und desillusioniert von der Chemotherapie, beschließt, die Behandlung zu beenden, wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt und auch Gregs Leben gerät dadurch aus den Fugen.

 

Alfonso Gomez-Rejon, dem Regisseur des Films, ist es gelungen, die Tränendrüsenklischeemomente auszulassen, die gerade bei einem Thema wie dem Sterben eines jungen Mädchens nur allzu leicht einzusetzen gewesen wären. Stattdessen werden rührende Momente durch liebevoll gestaltete Stop-Motion- und Knetfiguren-Szenen ergänzt, was den 104 Minuten eine jugendliche und unprätentiöse Stimmung verleiht. Schräge Charaktere wie der volltätowierte Geschichtslehrer McCarthy oder der permanent im Bademantel wandelnde Vater Gregs, der als Soziologieprofessor seine Tage zu Hause mit dem Zubereiten exotischer Snacks aus aller Welt verbringt, machen die Atmosphäre komplett. Wer trotzdem keine Angst vor tieftraurigen und verzweifelten Momenten angesichts einer am Ende einfach nur brutalen Krankheit hat, dem sei der Film wärmstens ans Herz gelegt.

 

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