Review: Mistaken For Strangers
Nach dieser Band-Dokumentation wird keine andere Musikdoku je wieder Spaß machen könnnen. „Mistaken For Strangers“ erzählt vom Scheitern des The-National-Frontmann-Bruders und lässt dabei einen tiefen Blick auf die Band im Allgemeinen und ihren Kopf im Speziellen zu.
1999 in Cincinnati gegründet und mittlerweile in der Kulturmetropole Brooklyn ansässig, sind The National in den 15 Jahren ihres Bestehens zu einer der wichtigsten Indie-Bands dieses Planeten geworden. Sechs immer erfolgreichere Alben, Live-Shows, die sie um die ganze Welt brachten, sowie enormes soziales und politisches Engagement machten sie neben Jay-Z zu den Künstlern, die Barack Obama auf seinem iPod spazieren trägt. Erfolg, der ihnen durchaus Recht gibt und zeigt, dass die Hörer auf den melancholisch-düsteren und verkopften Sound der Gruppe Bock haben. Auch wenn Kritiker wie Carl Wilson von Slate.com nicht nur Gutes über die Band zu schreiben haben: “The National makes me feel that rock music, like much of American literature and visual art before it, has died and gone to graduate school.”
In der Bankdokumentation „Mistaken For Strangers“ können sich Fans und Außenstehende nun selbst ein Bild von den Indie-Rockern machen. Und dieses Bild ist dank der Prämisse der Doku eines, das man so noch nie durch Projekte dieser Art bekommen hat. „Mistaken For Strangers“ konzentriert sich nicht auf die übliche Mixtur aus Konzertmitschnitten, Backstageaufnahmen und Interviewschnipseln, der Film zeigt stattdessen die Zeit rund um die „High Violet“-Tour aus der Sicht von Matt Berningers kleinem Bruder Tom. Dieser wurde eigentlich als Roadie engagiert, möchte die Wochen mit der Band jedoch dazu nutzen, eine Dokumentation über diese zu drehen. Schnell zeigt sich, dass nicht The National, sondern Tom Berninger und dessen Suche nach einem Platz im Leben und seinem Verhältnis zum erfolgreichen und berühmten Bruder im Fokus stehen. Es beginnt zwar wie eine halbwegs klassische Musikdoku, entwickelt sich aber im Grunde zu einem Making-Of des Films.
„Mistaken For Strangers“ „degradiert“ die Band zu Nebendarstellern, die Tom zuspielen. Dieser präsentiert sich als liebenswerter, kreativer Druffi mit kurzem Atem, der von seinem Bruder geliebt wird, ihn hier und da aber auch peinlich berührt. So muss der große dem kleinen Bruder eben sagen, dass er nicht so viel trinken, nicht so laut schreien oder eben seinen Aufgaben sowohl als Roadie als auch im Leben vernünftig nachgehen soll. The National und allen voran ihr Frontmann Matt Berninger wirken dabei stets wie ein entspannter Bund aus Menschen, die weniger wie Rockstars und viel mehr wie deine jungen Nachbarn wirken, die gerade Eltern geworden sind: Hohes Verantwortungsbewusstsein, aber immer noch Lust auf das eine oder andere Gläschen Wein in geselliger Runde. Der Zuschauer bekommt davon jedoch nur am Rande etwas mit, da wir den gleichen Blick von außen genießen, den auch Tom Berninger – unser gleichgesinnter Beobachter – hat.
Der von Matt Berninger und seiner Frau Carin Besser produzierte Film erschien nun auch in Deutschland auf DVD, hat eine Spielzeit von 72 Minuten und bietet darüber hinaus Bonusmaterial mit herausgeschnittenen Szenen, die den Streifen noch einmal doppelt so lang machen. „Mistaken For Strangers“ ist eine der wohl unterhaltsamsten Banddokumentation, die je in den DVD-Abteilungen des Elektronikfachhandels standen. Denn dieser Film schafft etwas, was nur wenige Bandportraits zustanden bekommen: Auch ein Carl Wilson von slate.com wird Spaß an diesem Streifen haben, unabhängig davon, ob er ein Fan der Band ist.
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