Review: Pyrin – Entartet EP
„Die ganze Idee mit Thomas Pyrin entstand in einer Zeit, in der es mir ziemlich beschissen ging und ich sehr viel nachdachte. Da ich insgesamt sowieso immer ein sehr reflektierter Mensch war, glaube ich, dass diese Thomas-Pyrin-Geschichte eigentliche die Konsequenz meiner persönlichen Entwicklung war. Und auch musikalisch. Eigentlich ist es die Musik, die ich schon immer machen wollte und schon immer in mir drinsteckte.“
Das gab Thomas Pyrin im September dieses Jahres im Interview mit hiphopstuttgart.de zu Protokoll. Keine zwei Monate später erscheint seine neue EP „Entartet“. Ein sechs-Lieder-starkes Mini-Album, auf dem Dubstep auf düstere HipHop-Beats trifft und mit saftigen Gedankensteaks berappt wird. Und wo die allerersten Dubstep-Versuche des neugeborenen Pyrins noch etwas holprig und unter den Beat gemischt klangen, ist auf „Entartet“ jede Line on point.
Auf den ersten Blick erzählt Thomas Pyrin komplexe Geschichten, die ihn so gedankenvoll erscheinen lassen, dass Neukunden abgeschreckt sein könnten. In einer Welt, in der eine deutschsprachige HipHop-Platte nach einem Hördurchgang verstanden ist, klingt „Entartet“ daher nach etwas ganz Besonderem. Statt dem Personalpronomen „ich“ benutzt Pyrin Worte wie „mordlustiger Zwilling im Spiegelkabinett“. Er macht es seinen Zuhörern damit nicht einfach. Denn Pyrin-Texte wirken solange verschachtelt, bis man sich wirklich die Zeit zum Zuhören nimmt und den dazugehörigen Mut aufbringt, eigene Interpretationen zuzulassen. Ist das geschehen, kann das große Kopfkino beginnen.
So konkret wie auf „Friedhof der Gedanken“ an der Seite von Kanu MC wird der ehemalige Thommy Walker selten. Pyrin wechselt häufig die Perspektive, schlüpft in fremde Rollen und tut es dann doch nicht. In „Freakshow“ blitzen dagegen immer wieder diese Zweizeiler durch, die man mit etwas Fantasie Punchlines nennen könnte, und verraten, auf welche Art Thomas seine HipHop-Sozialisation vollzogen hat.
„Naaa“, das mit seinem dazugehörigen Video schon seit Monaten im Umlauf ist, besticht mit einem heftigen Unwetter von Dubstep-Beat und einem eingängigen Kehrvers, der schon beim zweiten Hördurchgang im Ohr klebt. Trotzdem möchte Pyrin damit nicht das nächste Maskottchen von Stuttgart Kaputtraven sein, sondern eigene Gedankengänge verarbeiten. Menschen, die in die Zielgruppe von „Entartet“ passen, stand in ihrer Kindheit eine Moral im Weg, die es ihnen verbat, gemeinsam mit ihren Freunden Regenwürmer zu quälen. Trotzdem konnten sie die Faszination an diesem gottkomplexen Verhalten immer nachvollziehen. Die „Entartet EP“ ist Musik, die sich als kompliziertes Stück „Prog“ tarnt. Wer sich die Mühe macht, zuhört und nachdenkt, wird reichlich belohnt.
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