Review: SXTN – Leben am Limit
Das „Asozialisierungsprogramm“ ist abgeschlossen, nun kann das „Leben am Limit“ beginnen. SXTN haben ihr Debütalbum veröffentlicht und machen darauf eines klar und deutlich: „Jetzt sind die Fotzen wieder da!“
„Ihr dreckigen Nutten was denkt ihr, wer ihr seid“, heißt es in einem Kommentar unter dem Musikvideo „Er will Sex“. „Da hilft nur noch Vergewaltigung“, schreibt eine andere anonyme Person und zeigt damit eindrucksvoll, wie gut die Musik von Nura und Juju aka SXTN funktioniert. Menschen fühlen sich von den beiden Berlinerinnen provoziert. Weshalb? Weil sie in besagtem Song Selbstermächtigung über ihre Körper und Sexualität nicht einfordern, sondern korrekterweise als Selbstverständlichkeit darstellen. Zu viel für so manchen Internetnutzer, der darin entweder übertriebenen Feminismus oder umgedrehten Sexismus erkennen möchte. Zum Glück bleibt ihm immer noch die Möglichkeit, seine körperliche Überlegenheit und die Würdelosigkeit der Rapperinnen zu betonen.
Im Bongzimmer zu chillen, ist die Lösung!
Nach der EP „Asozialisierungsprogramm“ von 2016 haben SXTN nun ihr Debütalbum „Leben am Limit“ veröffentlicht. Und den direkten Ton, den sie auf „Er will Sex“ anstimmen, hält das Duo nicht auf der kompletten Platte. Das ist gut so, denn von SXTN zu verlangen, dass sie in jedem Lied das Frausein in den Mittelpunkt stellen, wäre unfair. Nura und Juju brechen hingegen viel krasser mit Klischee- und Rollenbildern, indem sie voller Überzeugung im „Bongzimmer“ chillen. Eine für Rap „normale“ Themenwahl aus der Sicht einer Frau – ohne dies zu betonen – für die Ohren aller Menschen: Das könnte der richtige Ansatz sein, das Schwarzweißdenken klammheimlich aus den Köpfen zu verdrängen, ohne es aggressiv mit dem Vorschlaghammer einzufordern.
Es tut sich momentan zwar viel, doch es ist nach wie vor schade, dass Frauen im Rap so unterrepräsentiert sind. Ebenso schade ist es, dass beinahe jede Review – diese eingeschlossen – diesen Fakt hervorheben muss. Denn die Musik von SXTN ist freilich unabhängig vom Geschlecht gut. Ein moderner synthetischer Sound trifft auf zwei Rapperinnen, die in allen Geschwindigkeiten flowen und mit ihren Stimmen spielen können. Nura, die auf der EP noch etwas hinterherhinkte, hat mit ihrer Partnerin Juju raptechnisch sogar gleichgezogen. „SXTN das beste Team“, ist bald nicht mehr nur Rap-Floskel. Die beiden harmonieren perfekt, die Hooks gehen ins Ohr und die Inhalte sind abwechslungsreich.
SXTN gehen einen Schritt weiter
In „Partyopfer“ halten SXTN während einer drogenschwangeren Party kurz inne, treten aus ihren Körpern heraus und betrachten, was eigentlich um sie herum abgeht. Dabei richten sie den Zeigefinger nicht auf andere, sondern schließen sich in diesem kurzen Moment der Klarheit in die Überlegung mit ein. „Frischfleisch“ demontiert unangenehme Partybaggerer und zeigt auf, in welches Dilemma diese Menschen einen bringen können: „Du denkst, ich bin ‘ne Hoe, weil ich so tanze, wenn ich nicht reagier’, nennst du mich Schlampe“. Bis dahin kein neuer Gedankengang, doch SXTN gehen einen Schritt weiter und bieten den Betroffenen selbstbewusst eine Lösung, deren Anwendung sich viele in entsprechenden Situationen möglicherweise noch nicht trauen: „Jetzt verpiss dich von hier, sonst hol’ ich den Türsteher“.
Neben Tracks, zu denen SXTN mit ihrer Gang vor dem Späti feiern („Ständer“) oder in denen eine fesselnde Gangster-Biografie beschrieben wird („Vorstadtjunge“), gibt es auch den einen oder anderen weniger inspirierten Moment. „Schule“ ist leider nur der typische „Scheiß auf die Lehrer, ich werde ein Star“-Song, den es in dieser Form schon häufiger gab. In Kombination mit den Fähigkeiten der Rapperinnen und dem eingängigen Kinderchorrefrain ist das Stück zumindest handwerklich gelungen. Und wenn SXTN in „Ausziehen“ auf die sexistische Scheiße eingehen, mit der sie konfrontiert werden seit sie in der Öffentlichkeit stehen, sich dabei aber nicht zu Opfern machen lassen und den Spieß einfach umdrehen, ist alles wieder gut.
„Heute ficken wir die Szene, alle andern sind egal, wir sind asozial und geil, ihr seid nur asozial“, heißt es im Chorus von „Die Fotzen sind wieder da“. Wer sich von der vermeintlich derben Wortwahl abgeschreckt fühlt, sollte noch einmal in sich gehen. Wirklich viele Flüche spucken SXTN im Laufe der zwölf Songs tatsächlich nicht aus. Sie nutzen Schimpfwörter nicht als Füllwörter, sondern setzten sie bewusst ein, um Punkte klar zu machen oder zu provozieren. „Leben am Limit“ ist ein gelungener Albumeinstand und die logische Konsequenz aus der Vorgänger-EP. Schade für die Menschen, die sich das entgehen lassen, nur weil die Künstler Frauen sind.
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