Wir kommen: Ronja von Rönnes Eintrittskarte in die Buchhandlungen

„Wir kommen“ ist Ronja von Rönnes Eintrittskarte in die Buchhandlungen des Landes. Statt kontroverser Meinungen zum Feminismus im Feuilleton von „Die Welt“ gibt es fiktive Tagebucheinträge über Panikattacken und das Leben in einer Viererbeziehung.

 

Ronja von Rönne ist jung, hip und clever. Genau das, was so viele Schulabgänger sind und gerne wären, wenn sie für das Studium in eine Großstadt ziehen, um erst einmal das Nachtleben statt der Hörsäle zu erkunden. Die Jungfeuilletonistin, die für „Die Welt“ Meinungen niederschreibt, die nicht allen gefallen, und sich in Talkshows setzt, um nur das mitzumachen, was ihr passt, hat nun über den Aufbau Verlag ihren Debütroman „Wir kommen“ veröffentlicht. Ein Buch, das die Presse mit verhaltenem Echo aufnahm und im Grunde als schlichtweg langweilig bezeichnete. Doch wie langweilig können 200 Seiten sein, die man theoretisch an einem Frühlingsnachmittag auf dem Balkon runterlesen kann? „Wir kommen“ möchte nicht durch einen klassischen Spannungsbogen überzeugen, der auf einen nervenzerreißenden Höhepunkt hinausläuft. Viel eher geht es darum, Alltäglichkeiten in besonders frischen Worten und Formulierungen zu benennen.

 

In die Rolle des Therapeuten schlüpfen

 

Hauptfigur Nora wird von Angstzuständen geplagt und ausgerechnet in einer Zeit, in der es auch noch in ihrer Viererbeziehung kriselt, von ihrem in den Urlaub fahrenden Therapeuten im Stich gelassen. Dieser möchte, dass sie ihre Erlebnisse und Gefühle niederschreibt. Wir – die Leser – dürfen nun in diesem rund 200-seitigen Mitschrieb blättern und schlüpfen somit in die Rolle des besagten Psychologen. Viel ist während unseres Aufenthalts an der italienischen Adriaküste (oder wo Therapeuten halt so Urlaub machen) nicht passiert. Eine Party fand statt und ganz viele Anekdoten von und mit Maja – die tote Freundin aus Noras Heimat – wurden festgehalten. Die Hälfte des Buches ist vorüber und man wartet immer noch auf den großen Knall, der den Plot ins Rollen bringt oder zumindest kurzfristig ein wenig Nervenkitzel erzeugt. Nach zwei Dritteln kann man sich dann komplett von der Vorstellung verabschieden, dass in „Wir kommen“ noch etwas Außergewöhnliches im Leben der C-prominenten TV-Persönlichkeit Nora passieren wird.

 

So träge Noras Leben beschrieben wird, ist auch der Handlungsverlauf des Buches. Und das könnte sogar beabsichtigt sein. Denn wenn Ronja von Rönne eine Party beschreibt, auf der es eigentlich nicht viel gibt als Gespräche mit veganen Radioredakteuren, Ghostwritern und Kulturjournalisten, möchte man sich der Szenerie ebenso entziehen wie auch Nora. Die größte Abwechslung entsteht durch die Abschnitte mit Kindheitsfreundin Maja, die der krasse Kontrastpunkt in Noras Leben gewesen ist. Gewesen, denn Maja ist nicht mehr. Und somit bleibt Nora nur die Sehnsucht und der Wunsch, dass endlich mal was los ist. Heute fristet sie ein tristes Dasein in der Großstadt, damals war sie quicklebendig im Dorf. Eine starke Gegensätzlichkeit. Es ist nicht wo du bist, es ist was du machst. Maja ist eine der wenigen Figuren, die wirklich greifbar sind und einem beim Lesen nahegehen. Vielleicht weil von Rönne hier auf tatsächliche Erinnerungen zurückgreifen kann und nicht – wie häufig im Buch – so schreibt wie sich eine 24-jährige das Verhalten von älteren Menschen eben vorstellt.

 

Generation Hashtag: für den Satz statt das Kapitel leben

 

Ich spüre nicht, dass es Nora schlecht geht. Ihre Panikattacken erscheinen mir wie eine jugendliche Laune, die per pseudo-depressivem Instagram-Post in die Welt hinausgeschrien wird. Werde erwachsen, möchte man der Protagonistin entgegenrufen. Nicht weil man ihre Panikattacken nicht erst nimmt, sondern weil die Autorin Panikattacken mit diesem Schrieb nicht ernst nimmt. Nora selbst ist erstaunlicherweise dennoch keine unsympathische Figur, die trotz leichtem – aber auch wirklich nur leichtem – Anflug von jugendlicher Hochnäsigkeit intelligent und reflektiert herüberkommt. Sie weiß, dass sie geliebt wird, weiß dies auch zu schätzen, würde aber vielleicht gerne mal wieder anders geliebt werden. Vielleicht ist genau das der Grund, weshalb es erst zur Viererbeziehung zwischen Karl, Leonie, Jonas und ihr gekommen ist. Mit Nachwuchs Emma-Lou und Haustier 390 Gramm zur Sechserbeziehung ausgewachsen, gibt es nun genug Gründe, an der Situation nichts mehr ändern zu können oder zu wollen.

 

Innerhalb eines Kapitels wird mehrmals in der Zeit gesprungen, neue Figuren werden plötzlich eingeführt und sind fortan wichtige Elemente der Geschichte, haben sich beim Lesen aber noch nicht einmal richtig ins Hirn eingebrannt. Das ist nicht weiter schlimm, denn zurechtfinden würde man sich auf den 200 Seiten auch wenn man querliest. Ob vor der großen Party – die die Kernszene des Romans darstellt –, dazwischen oder danach, es gibt keine Linie, der man folgen muss. Stattdessen feiert die Generation Hashtag hier ein Manifest, das eher für den Satz als das Kapitel lebt. An einer Stelle behauptet die Ich-Erzählerin, sie schreibe ein Buch, nur damit sie sich keine unangenehmen Fragen mehr gefallen lassen muss. Ähnlich muss es wohl Ronja von Rönne gegangen sein, als ihr und ihrem Umfeld klar wurde, dass sie vielleicht doch nicht als Journalistin in der Newcomer-Abteilung  der „Die Welt“ alt werden wird.

 

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