Review: Rubber

„Der beste Killerreifen-Film, den Sie je gesehen haben!“

 

Man muss sich diesen Plot einmal auf der Zunge zergehen lassen: Ein handelsüblicher Autoreifen entwickelt ein Eigenleben und fängt an sich durch die nordamerikanische Wüste zu morden. 78 Minuten Wahnsinn, für den sich Quentin Dupieux von der Regie über die Kamera bis hin zum Schnitt komplett im Alleingang verantwortlich zeigt. Benjamin Falk brachte es für zelluloid auf den Punkt: „Es wird Menschen geben, die den Film als genial empfinden werden und ebenso welche, die sagen, es wäre kompletter Blödsinn.“

 

Und der Quatsch beginnt nicht erst mit dem Lebenszeichen des mordenden Autoreifens, sondern schon in den ersten fünf Minuten. Stephen Spinella – in der Rolle des Lt. Chad – steigt aus dem Kofferraum eines Autos und erklärt einer Gruppe von zwölf Menschen mitten im Niemandsland, warum der Film, in dem sie sich gerade befinden, einer der besten Filme aller Zeiten ist: „The film you are about to see today is an homage to the ‚no reason‘, that most powerful element of style.“

 

Besagte Gruppe ist dann auch – stellvertretend für uns tatsächliche Zuschauer – Teil des Films. Mit Ferngläsern bewaffnet beobachtet diese das Spektakel rund um den Killerreifen aus sicherer Entfernung und kommentiert es, als würde sie gerade einer Theatervorführung beiwohnen. Denken wir noch, dass der Arsch der duschenden Frau fett ist, hat es das Film-Publikum längst ausgesprochen.

 

Also sprach Zarathustra

 

Und dann – in der neunten Minute – erhebt sich der Reifen zum ersten Mal aus dem Sand. Fällt gleich wieder hin. Probiert es noch einmal. Fällt erneut um. Steht auf, lernt das Rollen und bleibt letztendlich standfest. Eine epische Szene, die zwar ohne Musik auskommt, doch auch wunderbar mit Richard Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ unterlegt hätte werden können. Zum Totlachen episch.

 

Der kleine Reifen rollt sich anschließend munter durch die Landschaft und entdeckt dabei seine Freude am Zerstören und Töten. Eine Plastikflasche und einen Skorpion kann er ohne weiteres überrollen, doch bei einer Glasflasche hören seine Kräfte augenscheinlich auf. Was dann passiert, könnte für viele DVD-Käufer, die Killertomaten lieben und sich nur deshalb für das Konzept eines Killerreifens begeistern, eine herbe Enttäuschung darstellen. Der Reifen besitzt telepathische Kräfte, mit denen er Gegenstände und Lebewesen (Menschen eingeschlossen), die er nicht überrollen kann, einfach zum Explodieren bringt. Irre.

Macht den Reifen bloß nicht wütend!

 

Ein Reifen ist selbstverständlich nicht in der Lage durch Mimik und Gestik zu überzeugen. Trotzdem hat man immer wieder das Gefühl, dass der Reifen ein diabolisches Grinsen auf dem Profil hat. Dass er stinkwütend ist. Oder dass er mit kindlichem Entdeckergeist durch die Gegend rollt. Als Zuschauer fängt man relativ schnell an, den Reifen als Protagonisten zu akzeptieren. Nach der Hälfte des Films möchte man den Nebendarstellern aus Fleisch und Blut sogar zurufen: „Macht den Reifen bloß nicht wütend!!!“

 

Quentin Dupieux dürfte vielen Lesern dieses Blogs eher unter dem Namen Mr. Oizo ein Begriff sein. Als eines der Ed-Banger-Flaggschiffe feuert er die Tanzflächen auf der ganzen Welt mit seinen elektronischen Ausgehhymnen an. Gemeinsam mit dem Bärtigen seiner Labelkollegen von Justice – Gaspard Augé – komponierte er neben der restlichen Arbeit an „Rubber“ auch noch den Soundtrack. Atmosphärische Stücke, die die Geschichte, die der Reifen mangels fehlendem Sprachorgan nicht erzählen kann, gekonnt vorantreiben.

 

Das Publikum spielt eine wichtige Rolle

 

„Rubber“ ist in einem Moment noch ein trashiger Spielfilm, der genau wie solch einer funktioniert. Im nächsten gibt er seinen Figuren die Möglichkeit zu erkennen, dass sie bloß fiktive Charaktere in einem Kinostreifen sind. Es ist eine wahre Freude, wenn schon oben erwähnter Lt. Chad seinen Filmkollegen schlüssig erklärt, warum die Szene, in der sie sich gerade befinden, nicht echt sei, nur um das anschließend gleich wieder zu revidieren, da das ebenfalls oben erwähnte Publikum da nicht mitspielen möchte. Klingt konfus? Ist es auch!

 

Quentin Dupieux‘ Melange aus Horror, Komödie und Road-Movie funktioniert auf mehreren Ebenen. Lässt man sich nicht darauf ein, ist der Film unfassbar dämlich und kein Stück unterhaltend. Doch billigt man, dass man „Rubber“ nicht einfach nur konsumieren kann, hat man es mit einem köstlichen Streifen zu tun, der ab und an in das Regal mit den Kunstfilmen schielt.

 

Am Ende rollt der von einer Schrottflinte zerschossene Reifen als Dreirad inkarniert gemeinsam mit vielen anderen Pneus Richtung Hollywood. Man könnte wissenschaftliche Arbeiten darüber schreiben, was das nun zu bedeuten hat. Eine eigene Meinung wird sich jeder Zuschauer selbst zurecht legen müssen. Denn man weiß nicht, ob „Rubber“ am Ende ganz toll oder doch nur überambitioniert ist. Eines ist jedenfalls klar: Diesen Streifen gesehen zu haben, kann definitiv nicht schaden!

 

3 Comments

  1. Mir hat der Film sehr viel Spaß gemacht! Was ich ja total interessant finde ist das der gesamte Film Mr. Oizo zu verdanken ist! Das war mir so gar nicht bewusst das Quentin Dupieux eben Mr. Oizo ist 🙂 Macht auf jeden Fall Spaß, gerne auch mit etwas Whisky! Die Bilder machen Laune danach direkt noch einen Western zu schauen!

  2. will ich mit meinen fabelhaften mitbewohnern auch noch anguggn

    hallo marcel!

  3. hmmm – ich habe wohl den whisky vorher vergessen, jetzt weiss ich endlich, warum mir der film nicht gefallen hat… 🙂

    http://www.falki-design.ch/wordpress/2011/01/rubber-ein-kein-kultfilm/

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