Shore, Stein, Papier: Geschichten zwischen Rausch und Knast
Der YouTube-Channel zqcne lässt seit rund zwei Jahren einen ehemaligen Drogenabhängigen aus seinem Leben mit der Sucht berichten. „Shore, Stein, Papier“ ist wohl eines der spannendsten und sinnvollsten deutschsprachigen Formate, die die Videoplattform bis dato hervorgebracht hat.
Es ist eine andere Welt, von der er da erzählt: Es geht um heftige Räusche, langjährige Drogenabhängigkeit, schwere Beschaffungskriminalität und hohe Haftstrafen. Stoff, den wir sonst nur von autobiografischen Unterhaltungserzeugnissen à la Chrstiane F. und Jim Carroll oder von auf das Nötigste zusammengeschnittenen Fernsehdokumentationen kennen. Doch so detailliert, wie der Protagonist der YouTube-Doku „Shore, Stein, Papier“ von seiner „Karriere“ mit der Sucht berichtet, wurde das Leben zwischen Heroin und Erwachsenwerden wohl noch nie aufgezeichnet. Das wirklich Fesselnde daran sind aber nicht unbedingt die akkurat aufgearbeiteten Geschichten, die Woche für Woche wiedergegeben werden, sondern viel eher der charismatische Erzähler, dem man seinen langjährigen Drogenkonsum so sehr ansieht, dass man seine Storys für glaubwürdig hält, der jedoch auch noch so fit wirkt, dass man nicht in Mitleid versinkt.
„Shore, Stein, Papier“ ist mit seiner simplen und fortdauernden Präsentation verteilt auf bisher rund 260 Folgen nicht gerade leichte Kost. Ein vernachlässigbar leiser Pianoloop im Hintergrund und ein Erzähler, der Feuerzeug und Kippen nicht aus der Hand legen kann, genügen, um gespannt am Laptop-Bildschirm zu kleben und fleißig die Gefällt-mir-Daumen zu klicken als hätten die Kiddies ein neues Gronkh-Video entdeckt. $ick – wie er in HipHop-Kreisen genannt wird – wurde 1973 im Saarland geboren. Nach einer beschaulichen Kindheit an der Stadtgrenze von Stuttgart zog er mit 13 Jahren samt Mutter und Stiefvater nach Hannover. Und da begann sie, seine Geschichte, die abschreckender ist, als es jede fiktive sein könnte. Das erste Mal Heroin nehmen, das erste Mal Strafhaft in der JA Hameln, das erste Mal in eine Therapiesitzung gehen und das erste Mal rückfällig werden: Dem Zuschauer eröffnet sich, ausgelöst von den guterzählten Geschichten, eine Welt vor dem inneren Auge, die auf der einen Seite so aufregend fremd und auf der anderen abstoßend und bedrückend ist.
Seit Dezember 2012 veröffentlicht der YouTube-Kanal zqcne jeden Mittwoch drei bis vier Episoden, die jeweils eine Länge von etwa drei bis zwanzig Minuten haben. In meistens chronologisch korrekter Reihenfolge behandelt die Webserie pro Video ein spezielles Thema aus der Vergangenheit des Erzählers. Das können längere Beiträge über alte Weggefährten, Gerichtsverhandlungen oder Gefängnisausbrüche sein, aber auch kurze Geschichten, die sich um vermeintliche Kleinigkeiten wie Einbruchswerkzeug, Alu-Folien oder Platzverweise drehen. $ick ist ein Mensch, dem man an den Lippen hängt, wenn er den Mund aufmacht. Er schafft es, über Nichtigkeiten zu reden und diese dabei stets interessant wirken zu lassen. Ein Typ, über den man sich ärgert, da er sein großes Potenzial offensichtlich an die Drogen verschwendet hat. Und dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll, wenn er beispielsweise davon berichtet, dass er zu Beginn seines Konsums nicht wusste, dass Shore ja Heroin ist. Ein Drama in Überlänge, dessen Happy End zum Glück durch die Anwesenheit des Erzählers in der Gegenwarts bereits vorweggenommen wurde.
Der YouTube-Channel zqcne hat mit „Shore, Stein, Papier“ ein grandioses Format geschaffen, das in seiner Machart leider völlig ungeeignet für die hiesige Fernsehlandschaft wäre. Sicherlich ist auch Googles Videoportal eher für schnell geschnittene Drei-Minuten-Clips und weniger für mehrstündige Monolog-Aufnahmen bekannt, doch die Freiheit, die die Plattform den Kreativen bietet, und die Nutzer, die sich ihre Inhalte nach eigenem Belieben wählen können, sind optimal für diese außergewöhnliche Serie. Knapp 5 Millionen Views konnte „Shore, Stein, Papier“ so bereits sammeln und womöglich einen kleinen Teil zum Thema Drogenprävention leisten.
Wollt ihr in „Shore, Stein, Papier“ reinschauen? Hier geht‘s zur kompletten Playlist!
[x] Fan
Völlig nachvollziehbar!!!
Jeden Mittwoch Abend komme ich spät nach hause und kann mir endlich wieder neue Folgen angucken. Ich hab schon viele Freunde dazu gebraucht sich die Serie anzugucken, weil ich ihm ein großes Ohr wünsche! Unglaublich wie er das hinbekommt sein Leben so rüberzubringen.
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich die Serie anfangs eher langweilig fand. Hat man jedoch die ersten Dosen intus, kann man die Finger nicht mehr davon lassen. Und jeden Mittwoch wird das nächste Tütchen von Zqnce geliefert. Glückwunsch an dich, $ick, und an Zqnce, für die gelungene Serie!
Bemerkenswert wie detailliert er seine Erzählungen wiedergibt! Bin erst vor kurzem auf diese Serie gestossen, sprich habe einiges an Material vor mir. Prädikat empfehlenswert! Interessant ist auch der Musik-Geschmack vom guten Sick, sowie sein „künstlerisches“ Umfeld 😀