Review: Sickless – Seth

In der Review zu Sickless‘ letztem Release „Einsickartig“ schrieben wir: „Abitur gerade abgeschlossen? Diese Platte hört man beim Umzug in die neue Unistadt.“ In der Rezension zu seinem neusten Werk „Seth“ könnte es heißen: „Studium gerade abgeschlossen? Diese Platte hört man beim Suchen nach dem persönlichen Weg.“

 

„Seth“ ist ein 34minütiger Bastard aus EP (die Länge) und Mixtape (die Fremdbeats), der in zehn Anspielstationen (plus einem instrumentalen Intro) zwischen der Sinnsuche am Ende eines Lebensabschnitt und dem für Battle-Rap typisch selbstbewussten Hodengeschaukel pendelt. Sickless hat mit seinen 23 Jahren ein Studium hinter sich gebracht, ist Vater geworden und gründete mit einem Haufen seiner Freunde das Künstlerkollektiv wirscheissengold. Schon durch diese drei in Kombination spannenden Aspekte hat er trotz seines noch jungen Alters jede Menge zu erzählen.

 

Sickless weiß diese interessanten Etappen seiner Biografie gekonnt in Worte zu fassen. Und ob er nun eher nüchtern auf sein Leben blickt („Kreidetafel“) oder eine optimistische Bestandsaufnahme macht („Sanduhr“), seine Texte wissen stets durch tiefe Einblicke – geradezu Seelenstriptease – zu überzeugen. Erschlagen wird der Hörer bei all den schweren Worten trotzdem nicht. Dafür entsprießt der Wahlstuttgarter zu sehr dem Internet und all seinen Battle-Rap-Contests. So gibt es für Punchline-Fanatiker eine Fortsetzung von „Battle Cry“, die wirscheissengold-Hymne „Fanfaren“ oder den YouTube-Bewerbungssong „Nicht alles Gold was glänzt“.

 

Man kann Sickless vieles vorwerfen, eine nicht vorhandene Liebe zur HipHop-Musik jedenfalls nicht. Wenn er Megalohs Boombap-Brett „Dr. Cooper (Ich Weiss)“ remixt und dabei den Originaltext geschickt mit seinen eigenen Ideen verwebt oder bei „Battle Cry II“ auf den Lyricist-Lounge-Beat von „Oh No“ Pharoahe Monchs „Halleluja“ so schön originalgetreu betont, zeugt das von einem ehrlichen Fan-Dasein. Und trotz der vielen „geklauten“ Instrumentals wirkt der Tonträger in sich schlüssig. Doch die wahren Highlights bleiben am Ende ohne Zweifel die Ausflüge in Sickless‘ Innenleben.

 

Musik für Menschen, die sich zwar darüber aufregen, dass ihre Facebookfreunde Bilder ihrer Abschlussarbeiten posten, aber trotzdem „Gefällt mir“ drücken. Denn im Leben muss es vorangehen. Auf die eine oder andere Weise. „Seth“ ist das vertonte Entschuldigungsschreiben für alle, die in jungen Jahren trotzdem noch nicht dem Druck des Erwachsenwerdens verfallen und sich selbst kennenlernen möchten.

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