Steven Wilson auf dem ZMF: “America, fuck yeah!”
27.7.2016 - Freiburg, ZMF
Steven Wilson sagte “America, fuck yeah” und gab Milky Chance eine Abfuhr: Am 27. Juli stand das Freiburger Zelt-Musik-Festival im Zeichen des Prog-Rock-Meisters.
„Sorry for spelling the name of your city wrong all day Freiburg”, schrieb Steven Wilson am Tag nach seinem Konzert auf dem Zelt-Musik-Festival in den sozialen Medien. Halb so wild möchte man ihm am liebsten antworten, denn mit böser Absicht hat er dies ganz bestimmt nicht getan. Im Gegenteil: Wilson präsentierte sich am 27. Juli im großen Zirkuszelt des ZMF als sympathischer Vollblutmusiker, der zwar nicht versteht, warum man hierzulande Milky Chance feiert, ansonsten aber keine Berührungsängste mit seinem deutschen Publikum hatte. Er erkundigte sich nach dem Wohlbefinden der Zuhörer, verschenkte Wasser und erklärte nicht ganz ernstgemeint, er wolle heute nur amerikanische Dinge tun. Eine Siegerfaust samt „America, fuck yeah“-Ausruf folgten.
Das Mellotron wird zum Lehrerpult
Mit schwerer Kost stieg Wilson in seine Show ein. Das knapp 15-minütige „Ancestral“ war nicht unbedingt ein Kickstart für Beine und Arme der Zuhörer – schon gar nicht, wenn sich Wilson auf verdunkelter Bühne hinter seinem Mellotron versteckt wie ein Lehrer am Pult – doch das Eis brach schnell. Der schlicht in schwarzem Shirt und schwarzer Hose gekleidete Musiker stand noch während des Stückes auf, spielte mit einer Hand weiter und trieb mit der anderen sein Publikum an. Dass dies nicht gerade der zugänglichste Opener war, stellte er im Anschluss selber fest, erzeugte dadurch ein paar Lacher und holte sein Publikum mit dem Titeltrack des 2015 erschienenen „Hand. Cannot. Erase.“ wieder ab.
Auf der letzten Europa-Show seiner Tour beschränkte sich Wilson fast ausschließlich auf neuere Stücke. „Hand. Cannot. Erase.“ spielte er beinahe komplett, „4 ½“ zur Hälfte. Das mit Abstand älteste Solowerk war „Harmony Korine“ von 2008. Auf jeden Song mit zugänglichem Chorus folgte ein Prog-Monster. Langeweile kam nicht auf, das Publikum verhielt sich ruhig, lauschte und machte somit auch leisere Passagen zu einem ungestörten Klangerlebnis. Statt eines Banners wurde die Bühne durch eine Videoleinwand ergänzt, die aufwändig produzierte Visuals und Musikvideos zeigte. Meistens wurden diese perfekt mit der Performance kombiniert. „Index“ wirkte dadurch noch bedrohlicher, „Ascendant Here On“ noch melancholischer.
Mit Plauderlaune gegen die Struktur
Während „Vermillioncore“ musizierte er mit seinen vier Bandmitgliedern, zu denen auch Lemmy Kilminsters Sohn Dave gehört, um die Wette. Die Begleitmusiker schienen ehrlichen Spaß zu haben, konnten sich im Laufe der Show richtig austoben. Ähnlich wie Wilson, der häufiger seine Gitarre als sein Tasteninstrument bediente und sich als Zeichen der damit einhergehenden Anstrengung immer wieder schweißgebadet die Haare aus dem Gesicht strich. Etwas Erholung gönnte er sich während „The Raven That Refused To Sing“, für das er auf einem Barhocker Platz nahm und unterstützt vom dazugehörigen Musikclip berührend sang: „Sing for me / Sing for me / You can come with me / You can live with me / Heal my soul / Make me whole.”
Wilson widmete David Bowie nicht nur „Lazarus“, sondern coverte ihm zu Ehren auch dessen Song „Space Oddity“. Dem Wunsch eines übereifrigen Zuschauers, „Loving The Alien“ zu spielen, kam er zwar nicht nach, attestierte diesem jedoch, dass dies ebenfalls ein sehr gutes Lied sei. Mit dem Bowie-Klassiker läutete Wilson auch das Ende seiner gut zweistündigen Show ein, während der er versiert versuchte, eine für seine episch verkopfte Musik würdige Atmosphäre aufzubauen. Spätestens vor dem finalen Porcupine-Tree-Stück „Sound Of Muzak“ brach Wilson mit der Stimmung jedoch komplett und geriet in liebenswürdige Plauderlaune. Der 48-jährige Engländer ist halt ein Guter, der bis zu seinem nächsten Besuch sicherlich gelernt haben wird, wie man Freiburg ausspricht.
https://www.youtube.com/watch?v=sh5mWzKlhQY
https://www.youtube.com/watch?v=ycYewhiaVBk
https://www.youtube.com/watch?v=A64J8mo8oZE
Kommentar hinterlassen